Altschulden auf Ost-Wohnungen zumutbar?
Bundesgerichtshof verhandelte über Klage zu DDR-Krediten an Wohnungsgenossenschaft Von JENS JELO
Der 11. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe verhandelte am gestrigen Mittwoch die Klage einer Dresdner Wohnungsgenossenschaft gegen die Deutsche Kreditbank AG (DKB) betreffs der Altschulden ostdeutscher Wohnungsunternehmen und der daraufliegenden Zinsen.
Die Dresdner Wohnungsgenossenschaft ist Rechtsnachfolgerin einer Arbeiterwohnungsgenossenschaft. Die Kreditbank AG wickelt die Geschäfte der Staatsbank der DDR ab. Streitpunkt war die hochbrisante Frage, ob die aus der DDR überkommenen Altschulden der Wohnungsgenossenschaften Schulden im Sinne des bürgerlichen Rechts sind, die Wohnungsgenossenschaften der DKB Zinsen und Tilgung zahlen müssen.
Die Arbeiterwohnungsgenossenschaft „Fortschritt“ hatte 1975 von der Staatsbank der DDR einen Grundmittelkredit zum Bau von Wohnungen in Dresden erhalten. Von diesem Kredit wurden zu DDR-Zeiten jährlich fünf Prozent zur Zahlung fällig; davon vier Prozent Zinsen und ein Prozent Tilgung. Die Zinsen wurden aber nicht von der Arbeiterwohnungsgenossenschaft, sondern gemäß einer parallel mit dem Kredit geschlossenen Verein-
barung vom Rat der Stadt Dresden bezahlt. Für die Finanzierung des einen Prozents Tilgung erhielt die AWG weitere zweckgebundene Mittel aus dem Haushalt der Stadt. Die Kreditmittel waren 1975 sofort an den Hauptauftragnehmer Bau ausgereicht worden. Die AWG hatte nie die Verfügung über das kreditierte Geld erhalten.
Die Wohnungsgenossenschaft weigerte sich nach der Wende, diesen Altkredit als Schulden im Sinne des BGB anzuerkennen, nahm auch die Leistung des Altschuldenhilfegesetzes nicht in Anspruch. Sie erhob 1993 Klage vor dem Landgericht Dresden und beantragte, das Gericht möge feststellen, daß die Wohnungsgenossenschaft aus dem Altkredit weder Zins noch Tilgung schuldet. Hilfsweise wurde beantragt, den Zins und die Tilgung auf vier Prozent bzw ein Prozent jährlich zu begrenzen. Das Landgericht
Dresden wies die Klage ab. Vor dem Oberlandesgericht gelang der Wohnungsgenossenschaft ein erster Erfolg. Die Bank hatte die seit 1990 aufgelaufenen Zinsen ins Kontokorrent gestellt und Zinseszinsen verlangt. Das Oberlandesgericht Dresden sprach der Bank den Anspruch auf Zinseszinsen ab. Beide Parteien gingen in Revision (Aktenzeichen XI ZR 83/94). Das Urteil des Oberlandesgerichtes wurde nun vom Bundesgerichtshof bestätigt, die beantragte Revision zurückgewiesen.
Der 11. Zivilsenat des BGH hatte bereits über die Rechtmäßigkeit der Altschulden von VEB und LPG zu entscheiden gehabt. Der Senat beurteilte diese Altschulden als Darlehen im Sinne des BGB. Der Vorsitzende Richter Schimanski ließ aber keinen Zweifel daran, daß es bei den Altschulden der Wohnungsgenossenschaft anders werden würde.
Zuerst wurde über die Forderung nach Zinseszinsen verhandelt. Der Vorsitzende Richter gab der Bank den Hinweis, daß das Urteil des Oberlandesgerichtes „rechtsfehlerfrei“ sei. Sodann sprach Richter Schimanski einen möglichen
Wegfall der Geschäftsgrundlage für den Kredit von 1975 an. Die staatliche Zins- und Tilgungshilfe sei eingestellt worden, ohne daß der Wohnungsgenossenschaft die Möglichkeit eingeräumt sei, kostendeckende Mieten zu verlangen. Das Altschuldenhilfegesetz stelle aus Sicht des Senats nicht ohne weiteres die Geschäftsgrundlage wieder her. Es sei entscheidend, unter welchen Konditionen die Altschuldenhilfe gewährt wird und ob diese Hilfe ausreichend ist. Wenn aber die Geschäftsgrundlage weggefallen sei, komme es darauf an, ob der belasteten Partei das Festhalten an dem Vertrag zuzumuten ist oder nicht.
Rechtsanwalt Prof. Dr Brandner, der für die Wohnungsgenossenschaft sprach, nannte das Altschuldenhilfegesetz ein Gesetz, bei dem der Verfassungsrechtler „in höchstem Maße stutzen muß“ Das Gesetz mache Hilfen davon abhängig, daß die Schulden - die umstritten genug sind - erst einmal anerkannt werden. In ihrer wirtschaftlichen Notlage könnten sich die meisten der Genossenschaften diesem Zwang nicht entziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat
jedoch mehrfach eine „Erdrosselungsverpflichtung“ für unzulässig erklärt. Das inzwischen erlangte Eigentum an dem Grund und Boden, auf dem die genossenschaftlichen Wohnungen stehen, stelle angesichts des Instandsetzungsrückstaus und der Mietpreisbindung kein Äquivalent für den Zins und die Tilgung aus den Altschulden dar Der Kreditvertrag von 1975 müsse zumindest erheblich verändert und angepaßt werden.
Für die Kreditbank AG hielt Rechtsanwalt Dr Messer entgegen, daß die Wohnungsgenossenschaft bereits 1991 ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis über die Altschulden abgegeben hätte. Die Rechtsfrage, ob es Altschulden gibt oder nicht, könne also unentschieden bleiben. Seinem Kollegen Brandner stimmte er bei, das Altschuldenhilfegesetz würde „an einigen Ecken klemmen“ Wie solle eine Genossenschaft, die ja privat sei, die Privatisierungsauflage des Altschuldenhilfegesetzes erfüllen? Das Veräußern von Wohnungen an andere als Genossenschaftsmitglieder sei wohl durch die Satzung ausgeschlossen.
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