Bei Schiller bekam die Obrigkeit kalte Füße

Mit »Stattreisen« auf den Spuren des revolutionären Dichters vor 200 Jahren in Berlin

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 4 Min.
Kaum stand das Schiller-Denkmal 1871 auf dem Gendarmenmarkt, kam es auch schon zu Rangeleien um den Dichter und seine Kollegen Goethe und Lessing. Beinahe wäre der schwäbische Dramatiker von seinem exponierten Platz verstoßen worden. Fans der beiden anderen Poeten wollten diese ebenfalls vor dem damaligen Königlichen National-Theater in Stein gemeißelt sehen, und Schiller sollte weg aus der Mitte des Platzes. Doch daraus wurde nichts. Friedrich von Schiller bleibt, wo er ist, entschied die Obrigkeit der jungen deutschen Hauptstadt.
Vor 200 Jahren, am 1.Mai 1804, traf Schiller mit seiner hochschwangeren Frau Charlotte, dem zehnjährigen Sohn Karl und dem drei Jahre jüngeren Ernst per Postkutsche aus Weimar ein, um über eine Festeinstellung in der 180000-Einwohner-Stadt zu verhandeln. Der Verein »Stattreisen« unternimmt Spaziergänge auf den Spuren des revolutionären Denkers, ND war dabei.
Treffpunkt ist das aus Marmor gestaltete Denkmal. Bildhauer Reinhold Begas zeigt Schiller als jungen, idealistischen Mann. Zu seinen Füßen haben es sich die Allegorien Poesie, Philosophie, Geschichte und Drama bequem gemacht. So strahlend der Stückeschreiber hier dargestellt wird - in Wirklichkeit war der 44-Jährige schon todkrank, mit schütterem Haar, als er in Berlin eintraf. »Dass ein längerer Aufenthalt in Berlin mich fähig machen würde, in meiner Kunst vorzuschreiten, zweifle ich keinen Augenblick«, ist im Pflaster des Gendarmenmarktes zu lesen. Das Zitat stammt aus einem Brief Schillers an seinen Freund Iffland.
Der Schauspieler August Wilhelm Iffland war seit 1796 Direktor des Berliner National-Theaters und suchte händeringend einen Hausautoren und Dramaturgen. Da wandte sich Iffland gerne an Freund Friedrich. Der Direktor sicherte dem Autoren jährlich zwei Premierenaufführungen seiner Stücke und »ein anständiges Honorar« zu. Allerdings hatte Iffland auch Bedenken. Schiller verbreitete in seinen Werken revolutionäre Gedanken, die vielleicht beim Kaiser nicht so gut ankamen. So zögerte Iffland lange, den »Wallenstein« auf die Bühne zu bringen.
Der zweite Spielort, an dem Schiller Triumphe feierte, stand dort, wo heute die Komische Oper ihr Haus hat. Das schmucklose Fachwerkgebäude auf dem Grundstück Behrenstraße55 war das erste deutschsprachige Theater in der Stadt. Hier sahen die Berliner am Neujahrstag 1783 Schillers »Räuber«.
Zu dieser Zeit war der Dichter auf der Flucht. Als junger Regimentsarzt war er ein Jahr zuvor aus den württembergischen Soldatendiensten desertiert. Seine Familie unterrichtete er, nach Berlin zu wollen, »wo nach dem einstimmigen Ur-
theil aller Menschen, denen ich meine Umstände vorlegte, mein Glück aufgehoben seyn mus«. Schließlich blieb er aber doch in Weimar. Herzog Karl August lockte mit der Erhöhung der jährlichen Zuwendungen von 400 auf 1000 Taler.
Schiller hatte mit einer Anstellung an der Akademie der Wissenschaften geliebäugelt, um seine Familie finanziell abzusichern. Aber in einem Brief an den königlichen Leibarzt Christoph Wilhelm Hufeland äußerte Schiller, »daß die Zerstreuungen einer großen Stadt, so wie überhaupt die größere Bewegung um mich herum das glimmende Fünkchen meiner Thätigkeit ganz ersticken würden«.
Während seines 16-tägigen Aufenthalts besuchte er oft Hufeland - auch um sich untersuchen zu lassen. Schiller litt an den Folgen einer nicht ausgeheilten Lungen- und Rippenfellentzündung, obendrein war die Leber kaputt. So war Schiller nach einem Abendessen bei Prinz Louis Ferdinand, bei dem reichlich Weißburgunder floss, acht Tage »krank und verdorben«. Iffland stellte seine Kutsche zur Verfügung, um den Freund ins nahe gelegene »Hotel de Russie« Unter den Linden bringen zu lassen. Ein Jahr nach seinem Berlin-Besuch starb Schiller in Weimar.
Noch lange nach seinem Tod sorgte der aufmüpfige Schwabe für Aufregung, erzählt Schiller-Experte Michael Bienert. Der 100.Geburtstag des Dichters im Jahre 1859 - da war er schon 54 Jahre tot - sorgte für Unruhen. Die Menschen wollten durch die Straßen ziehen und den Dichter feiern. Ein Schiller-Komitee hatte einen Festumzug geplant, doch die preußische Obrigkeit bekam kalte Füße und verbot jegliche Feiern. Um das Volk milde zu stimmen, wurde die Errichtung des Denkmals vorgeschlagen. Am 10.November 1859 wurde der Grundstein gelegt. Zwischen 30000 und 50000 Berliner drängten sich, es kam zu Auseinandersetzungen mit den Staatsorganen. »Es war die größte Demonstration für nationale Einheit seit 1848«, ist in zeitgenössischen Berichten zu lesen. Nun war der Grundstein zwar gelegt, aber man hatte noch keinerlei Vorstellung von der Gestaltung des eigentlichen Denkmals. Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben, den Begas gewann.

Nächste Führung: 8.8., 14 Uhr, Treffpunkt: Schiller-Denkmal, Gendarmenmarkt; www.StattReisenBerlin.de

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