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Ethnisierung ist längst akzeptiert

  • Lesedauer: 3 Min.

Allerdings ist auch ihnen in den letzten Jahren immer mehr aufgefallen, daß der tradionalistische türkische Fundamentalismus mit seinem Verbreitungszentrum in den Moscheen, genauso wie die Verbreitung der Ideologie des türkischen Nationalismus, immer mehr zu identitätsstiftenden Merkmalen unter der türkischen Bevölkerung in der BRD wird.

Der alltägliche auch strukturelle Rassismus hat hier längst eine als „normal“ akzeptierte Ethnisierung hervorgebracht, in der sich kaum noch jemand über nationalistisch geprägte

Demos anläßlich der tödlichen Brandanschläge von Mölln oder Solingen wunderte. „Türkische Diskos“ boomen trotz hoher Eintrittsgelder und Getränkepreise - acht DM für ein Bier plus fünfzehn DM Eintritt ist zum Beispiel in Berlin mittlerweile normal.

Rap-Musikgruppen in türkischer Sprache, wie die in dem HipHop-Projekt CARTEL agierende Gruppe KARAKAN, schlagen unüberhörbar nationalistische Töne an. Als Adressaten ihrer Musik nennt das CARTEL-Mitglied, Sänger und Radiomoderator Eric E. „unsere Brüder und Schwestern“, und in Textzeilen wie „Du bist Türke, vergiß das nicht“ soll Positividentifikation geboten werden. Die ökonomische Verwertbarkeit dieser Musik hat sich längst ein großes Plattenlabel gesichert.

Auf dieser Welle schwimmen auch die in türkischen Kulturund Sportvereinen aktiven MHP-Faschisten. So organisie-

ren sie nach den Siegen der türkischen Staatsmannschaft Autokonvois, an denen sich zunehmend auch Nicht-MHPler beteiligen. Die Symbole der

MHP, roter Halbmond mit drei Sternen, sowie das Graue-Wolf Handzeichen - zwei Mittelfinger mit Daumen verbunden, die beiden Außenfinger gestreckt - tauchen nicht nur bei den Autokonvois auf. In den Diskos und CARTEL-Konzerten sind sie genau so gang und gebe wie als Modeschmuckemblem an der Halskette.

Die Erscheinungsformen sind unübersehbar, doch was aktuelle Hintergründe und Analysen angeht, stehen die linken türkischen und auch deutschen Antifa-Gruppen eingestandener Maßen noch am Anfang. Auf allen Seiten wurde ein Informationsdefizit festgestellt, das eine Analyse der Strukturen und politischen Bedeutung der MHP bislang unmöglich machte. Eine Veranstaltung mit dem Politologen Tanil Bora, Chefredakteur einer vierteljährlich in der Türkei erscheinenden Theorie-Zeitschrift (Toplum ve Bilim), in der Berliner Technischen Universität sollte Abhilfe schaffen.

Tanil Bora hat sich in den letzten Jahren in der Türkei intensiv mit der faschistischen Bewegung der 80er und Anfang der 90er Jahre auseinandergesetzt. Ihren bis zu 300prozentigen Stimmenzuwachs im Mittelmeer- und Ägäisraum bei den Regional-

wahlen 1994 verdanke die MHP zum Beispiel ihrer rassistischen Hetze gegen die regionalen kurdischen Massensiedlungen.

Seit Anfang der 90er ist die MHP (bis zu ihrer Zulassung 1993 in der MCP organisiert) mit ihrem realpolitischen Kurs eine Stütze der Ciller-Regierung.

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