Der Immerkrieg

Alexander Richter verarbeitet den Mythos von »Troia«

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Es geht ihm gut. Er spielt mit Promis Golf, er lächelt bei Interviews in die Kameras, er hält Lesungen und Vorträge ... Er ist dabei, wenn sie Filme drehen. Über damals. Die Stadt. Die Schlacht. Es ist seine Story. Die langwierige Rückkehr zu seiner Insel sowieso. Die Leute sind fasziniert ... Mein Gott, was der alles erlebt haben will ... Ein Supermann. Ein richtiger Held ...« Von Odysseus - »Odylysses« - ist die Rede in der Kurzerzählung »Troia, wir. Der Anfang«, auch wenn er hier auf einmal, aber nicht ganz grundlos, Otto heißt. In der Ebene, wo einst die stolze Troia stand und unterging - benachbart dem heutigen Schlachtfeld Irak - dreht sich alles Reden der Pauschalreisenden um das Schlachten vor 3000 Jahren, um die Helden, den Untergang, das Koloss, das sie heute den Koloss nennen. In der Neuerzählung Alexander Richters heißt es »UngetümKolossPferdDankmal«, und es ist weit größer als Wolfgang Petersens Pferd, das auf dem Potsdamer Platz in Berlin die Leute amüsierte. Bei Richter ist es nicht die witzige Erfindung des Listigen. Es ist ein Ungetüm, ein Grab, ein Konstrukt mit der stickigen Bauchhöhle eines Panzers oder Bombers. Nichts haben die alten Erzählungen an Faszination verloren. Vielfältig sind die Adaptionen bis heute. Alexander Richter offeriert uns mit »Troia X« aber gerade keinen »Sandalenfilm«, sondern eine Neuerzählung in wuchtiger, kantiger, archaischer Sprache, einer Sprache, die die alten Worte auf ihren Gehalt abklopft und neue erfindet: Enddunkel. Metzelleiber. Zufraße. Zubrande. Menschenmeine. Zerblutete Erde. So wird der Krieg zum Immerkrieg. Und dann die Doppelungen: Heldenhelden. Trockentrocken. DurstDurst. Und noch eins drauf: ÖlÖlÖl. FriedensehrFrieden. Lallend fallen die »Einfachkrieger« und die »HeldenHelden« zurück ins Kindische. Ihre Sprache wird zum Urschrei. Dieses Sprachexperiment ist ein Wagnis, das fast gelingt. Man muss sich einlesen. Alexander Richter berichtet die Geschichte vom Troianischen Pferd der »Grafiker« als Zeitzeuge und zugleich aktuell. »Neue Bäume pflanzten sie nicht. Denn es war nicht ihr Land. Denn sie würden nicht bleiben. Denn sie wollten dieses Land nur vernichten. Und die Menschen.« Er schreibt aus unterschiedlichen Sichten - der der Krieger, die in der Enge und im Dreck des Pferdebauches fast verrecken (Wer schrieb bisher schon so von ihnen?), und der des Königs Primas (Priamos), der den Untergangsweissagungen seiner Tochter Assasandra zum Trotz die utopische Hoffnung auf Frieden und ein neues, einziges Volk in den Mauern seiner Stadt hegt. Fast scheint es zu gelingen. Aber beim großen Versöhnungs- und Liebesfest »ertrinken« die Grafiker und die Troier im Jubel, im Frieden, in den herrlichen Worten des Odylysses und im »Traubenvein«. Die nach Beute gierenden Geierhunde sind nie verschwunden. Längst ist die Stadt dem Untergang und dem Unsterblichkeits-Wahn des Itakers anheim gegeben. Sie wird immerdar leben und nimmermehr stehen. Dass eine solch bildreiche, sprachgewaltige Erzählung zur Dramatisierung reizt, liegt auf der Hand, zumal es sich um einen alten Tragödienstoff handelt. Der Autor hat zusammen mit Frank Dieckbreder eine Bühnenfassung erarbeitet, die die Sprache erhält, die Handlung rafft und alles in den »Chor der Geierhunde« düster einbettet. Heutige Kneipen-Gespräche oder Zwischenspiele schaffen Distanz und belegen Ratlosigkeit. Alles, im Buch zusammengefasst, verdeutlicht, dass immer noch oder immer wieder ein neuer Blick auf den Mythos möglich und dieser noch lange nicht ausgeschöpft ist. Nu...

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