Botschaft aus Polens Guernica

Erhebliche Spannungen in Beziehungen zu Deutschland

  • Julius Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

»Wir müssen weiter gemeinsam am Haus Europa bauen«, so Staatspräsident Aleksander Kwasniewski gestern in Wielun bei der Gedenkfeier zum 65. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen.

Fast 100 »Stukas« der Deutschen Luftwaffe warfen um 4.30 Uhr des 1. September 1939 ihre Bomben auf eine von 16000 Menschen bewohnte Kleinstadt etwa 40 km nördlich von der damaligen deutsch-polnischen Grenze und töteten über 1200 Menschen, darunter rund 60 Patienten des mit dem Roten Kreuz gezeichneten Krankenhauses. Das Städtchen Wielun - ohne jede militärische oder industrielle Bedeutung - wurde zum Ziel eines terroristischen Angriffs und zu 75 Prozent dem Erdboden gleichgemacht. So begann, noch eine Viertelstunde vor den Kanonensalven der »Bismarck« gegen die Westerplatte, der Zweite Weltkrieg. Gestern fanden im »polnischen Guernica« die Hauptfeierlichkeiten zum Jahrestag des deutschen Überfalls statt. Präsident Kwasniewski würdigte den heldenhaften Abwehrkampf polnischer Soldaten, die sich vor 65 Jahren nicht nur einer Übermacht aus dem Westen gegenüber gesehen hätten. Als am 17. September auch noch eine Aggression aus dem Osten erfolgte, war das Schicksal des Landes besiegelt. Heute baue man mit den Nachbarn an Beziehungen der Freundschaft, des gegenseitigen Vertrauens und der Versöhnung - obwohl es »gewisse Unstimmigkeiten« und unverantwortliches Handeln auf der deutschen Seite gebe. Das seit einiger Zeit schlechter werdenden Klima in den deutsch-polnischen Beziehungen war schon in den letzten Tagen Thema der hiesigen Meinungsmedien. Nach der jüngsten »Reparationsdebatte« im Sejm kein Wunder. In »Newsweek Polska«, das zum rechten Blätterspektrum gehört, schreibt der namhafte Publizist und ehemalige Diplomat Jerzy Surdykowski unter dem Titel »Eine neue Berliner Mauer«, dass die »zurückkehrenden Gespenster der Vergangenheit« die Versöhnungsatmosphäre zu Beginn der 90er Jahre zunichte machten. Die Deutschen stünden eigentlich in polnischer Schuld, »nicht nur für die "Solidarnosc", die den Fall der Berliner Mauer und somit auch das Aufsaugen der DDR durch Westdeutschland ermöglicht« habe. Doch die Verhältnisse hätten sich geändert, es fehlten an der Spitze beider Völker solche staatsmännischen Persönlichkeiten wie Kohl und Mazowiecki. Die jetzt in beiden Staaten Regierenden seien unfähig, die durch Aktivitäten der Vertriebenenchefin Erika Steinbach oder von Rudi Pawelka, Aufsichtsratsvorsitzender der »Preußischen Treuhand«, entstandene Krise zu bewältigen. Die Versöhnung sei nur Fassade, so das Blatt. In »Wprost« wird die Belka-Regierung scharf kritisiert, weil sie nichts gegen die Restitutionsansprüche aus Deutschland unternehme. Sie lasse sich durch die Worte von Bundeskanzler Schröder in Warschau irreführen und nehme nicht zur Kenntnis, dass auf deutscher Seite offiziell eine »Rechtslage« geduldet wird, die freche Ansprüche an Polen überhaupt erst möglich macht. Wenn man nichts dagegen unternehme, werde es statt Versöhnung eine »kalte Feindschaft« geben. Pawelka und Co. witterten ein gutes Geschäft und versuchten mit abscheulichen Methoden, die Politik und die Volksmeinung zu beeinflussen. Die Warschauer Regierung müsse das Problem internationalisieren, ehe das durch die Pawelkas geschieht. Auch die linke Zeitschrift »Przeglad« äußerte sich zum Thema - mit der Titelstory »Pole und Deutscher wie zwei Brüder?«. Auf sechs Seiten wird die Geschichte der bilateralen Beziehungen in den letzten 15 Jahren auf der Grundlage ernsthafter Studien des Instituts für Öffentliche Fragen (Instytut Spraw Publicznych) detailliert mit statistischen Angaben über gegenseitige Meinungen, Stereotypen usw. dargestellt. Eingehend werden die positive Entwicklung in allen Bereichen des deutsch-polnischen Zusammenlebens (Wirtschaft, Jugend- und Kommunenkontakte, Investitionen, Hochschule u.a.), aber andererseits auch die politischen Spannungsfelder (etwa das Verhältnis zum Irak-Krieg) analysiert. Das Wochenblatt kommt zu dem Schluss, dass Deutschland und die Deutschen ihre östlichen Nachbarn von oben herab betrachten und behandeln. Das werde auch durch die scheußlichen »Polenwitze« belegt. »In den deutsch-polnischen Beziehungen zieht ein Gewitter auf. Es scheint, als ob die 15-jährigen Bemühungen im Versöhnu...

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