Eine Frau entdeckte das Element Rhenium
Zum 100. Geburtstag der Chemikerin Ida Tacke
Von BRITA ENGEL und KURT HÖGERLE
Bei „Entdeckungen denkt man an zufällige Funde, wie eben Kolumbus Indien suchte und Amerika entdeckte. Tatsächlich wurden auch die meisten chemischen Elemente eher zufällig aufgefunden. Beim Rhenium aber war das ganz anders. Nach ihm wurde ganz gezielt gesucht.
Als Fräulein Dr -Ing. Ida Tacke, Gastwissenschaftlerin an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in der Abbestraße nahe dem Charlottenburger Knie (Ernst-Reuter-Platz), und ihr Laborchef, der Chemiker Dr Walter Noddack (1893-1960), 1922 mit der Suche begannen, gab es nämlich im Periodischen System der Elemente noch einige Lücken, unter anderen in der Gruppe des Mangans die Plätze 43 und 75, die „Ekamangane“
Die Gruppierung der chemischen Elemente in ein System
durch Dimitri Mendelejew und Lothar Meyer (1869) ermöglichte, aus der Ordnungszahl auch unbekannter Elemente auf deren physikalische und chemische Eigenschaften zu schließen. Danach müßten die mit dem Mangan verwandten Metalle äußerst selten und in zwei Formen vorkommen: gediegen zu etwa einem Promille in Platinerzen und als Oxide noch zehnmal seltener in oxidischen Mineralien wie den Columbiten. Ida Tacke und Walter Noddack machten auch recht genaue Voraussagen über die Atomgewichte, die Schmelzpunkte, ja sogar Farbe und Form der Kristalle und das chemische Verhalten der unbekannten Metalle.
Daraus bestimmten sie die chemischen Methoden, mit denen sie die gesuchten Elemente für Nachweis und Untersuchung anreichern könnten. Tatsächlich gelang es ihnen, aus 80 g Platinerz ein Milligramm zu gewinnen, das aber bei weiteren chemischen Ope-
rationen verlorenging. Wie aber mitten in 'der Inflation neues, teures Platinerz beschaffen? So bearbeiteten sie ein Kilogramm Columbit, aus dem sie wiederum ein Milligramm erhielten. Bei der Untersuchung mit dem neuen Röntgenspektroskop konnten Ida Tacke und Otto Berg 1925 die typischen Spektrallinien der Elemente 43 und 75 beobachten! Das Element 75 nannten sie Rhenium, doch das andere, Masurium genannt, konnten sie bei weiteren Versuchen nicht mehr finden; es wurde 1937 dann erstmals künstlich erzeugt und 1947 deshalb Technetium genannt.
1934 schrieb Ida Noddack -1926 hatte sie ihren einstigen Chef geheiratet - einen Aufsatz „Über das Element 93“, das Enrico Fermi entdeckt zu haben glaubte. Fermi las ihn und legte ihn zur Seite, ebenso das Ehepaar Joliot in Paris und die Arbeitsgruppe Otto Hahn, Fritz Straßmann und Lise Meitner
in Berlin. Zu verrückt schien ihnen die Vorstellung der Frau Dr. Noddack, es sei doch denkbar, „daß bei der Beschießung schwerer Kerne mit Neutronen diese Kerne in mehrere größere Bruchstücke zerfallen, die zwar Isotope bekannter Elemente, aber nicht Nachbarn der bestrahlten Elemente sind“ Aber als dann Lise Meitner 1938 die erste Kernspaltung berechnete, kam sie zu genau diesem Ergebnis.
Ida Tacke, vor 100 Jahren, am 25. Februar 1896, als Tochter eines Lackfabrikanten in Lackhausen bei Wesel geboren, studierte an der Technischen Hochschule Berlin Chemie, wurde 1919 mit einer preisgekrönten Arbeit Dipl.-Ing. und promovierte 1921 an der gleichen Hochschule. Dann arbeitete sie in Berlin bei der AEG und bei Siemens & Halske, bevor sie 1922 an die Physikalisch-Technische Reichsanstalt ging. Am 24. September 1978 starb sie in Bad Neuenahr
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