- Kultur
- „Die roten Kapos von Buchenwald“, ein Film von Ute Bonnen und Gerhard Endres (ORB)
Mit Fakten gegen die Mystifizierung der Geschichte
Der ORB wenigstens durchbrach den bundesdeutschen Feierkalender und gedachte des Jahrestages der Selbstbefreiung der Häftlinge des Nazi-KZ Buchenwald. Der Titel des Films von Ute Bonnen und Gerhard Endres hatte mich freilich vor der Sendung mit gesättigtem Mißtrauen vor .den Fernsehapparat gelockt. „Die roten Kapos von Buchenwald“, in der Programmzeitschrift mit der Unterzeile versehen „Die Rolle der Kommunisten als KZ-Verwalter“ - sollten hier die Anschuldigungen wieder einmal propagandistisch aufgewärmt werden, die seit rund fünfzig Jahren gegen das Lagerkomitee und die kommunistischen Funktionshäftlinge konstruiert wurden und die immer mal wieder, zuletzt vor wenigen Jahren im Zuge der neudeutschen Geschichtsrevision, hervorgekramt werden?
Mein Mißtrauen war zum Glück unberechtigt, der Film hat sich das genaue Gegenteil zum Ziel gesetzt; ehrlich zu recherchieren, wie der kommunistische Widerstand in Buchenwald funktionierte, was er leistete und wie er es vollbrachte. Eine solche filmische Untersuchung war schon lange überfällig geworden. Bruno Apitz hat das Wirken von Walter Barthel und seinen Genossen in seinem Tatsachenroman „Nackt unter Wölfen“ poetisch, gewürdigt, wer sich für die historischen Fakten interessierte, der konnte sich in einigen wenigen Büchern, die in der DDR erschienen waren, darüber informieren.
Die beiden Filmemacher wählen die Methode der „oral history“ und lassen Zeitzeugen zu Worte kommen, ehemalige Buchenwaldhäftlinge, denen das Wirken der kommunistisch
geführten Lagerorganisation das Leben gerettet hat und die selbst in dieser Organisation wirkten. Ihre Lebenswege sind in den vergangenen fünfzig Jahren offensichtlich sehr unterschiedlich verlaufen. Einige von ihnen sind Kommunisten
sammenstellung von Transporten in andere Lager entscheiden mußten und damit über Leben und Tod ihrer Kameraden.
Der Kommentar des Films ist sachlich, unsentimental, und die Erinnerungen und Berichte der ehemaligen KZ-Häftlinge meiden ihrerseits jeden Ansatz zur Romantisierung. Es war notwendig, auch Menschen zu opfern, denn es ging um den Erhalt der Organisation, wenn beispielsweise „Zinker“, das heißt Verräter, ihrem Verderben ausgeliefert wurden oder Funktionshäftlinge, die sich durch die SS korrumpieren ließen, „auf Transport“ und damit in den sicheren Tod geschickt wurden. Die Zeugen erinnern sich, wie sie auf Weisung der illegalen Lagerleitung Essen stahlen und in die Häftlingsbaracken brachten, wo es von Funktionshäftlingen ver-
teilt wurde, wie sie ein Waffenarsenal für den geplanten Aufstand zusammentrugen, wie sie sich Informationen über die Kriegslage verschafften oder einen Sender bauten.
Sie erzählen, wie sie die Lagerorganisation seit 1944 zunehmend unter ihre Kontrolle brachten, und sie bestätigen, was gerade in jüngster Zeit immer wieder von Neuschreibern der Buchenwald-Geschichte bestritten worden war: daß tatsächlich die Häftlinge sich selbst befreit und nach der Entmachtung der SS die Organisation des Lagers bis zum Eintreffen der Amerikaner in die eigenen Hände genommen und damit das Überleben doch der meisten der zuletzt 21 000 Insassen des Lagers sichergestellt hatten.
Waren die kommunistischen Funktionshäftlinge Kollabora-
teure der SS, haben sie um des eigenen Wohls und des Wohlergehens ihrer Genossen mit ihren Peinigern zusammengewirkt? - Der Kommentar spricht in einem klar formulierten Satz jedem, der Buchenwald nicht erlebt hat, ein Urteil darüber ab. Ich meine, hier wurde ein notwendiger Fulm gemacht, ein Film, der neuerlicher Geschichtsmystifikation mit Fakten entgegenwirkt. Diesem nüchternen Bericht, der seltene Dokumentaraufnahmen des (befreiten) Lagers zeigt und damit das Leid anschaulich macht, das hier wie überall Menschen im „SS-Staat“ angetan wurde, verdient eine breite Öffentlichkeit, vor allem in Schulen, bevor hier das antikommunistisch revidierte neudeutsche Geschichtsbild weiter Einfluß gewinnt.
PETER HOFF
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