Herr XXX und das Hettstedter Blendwerk
Wie bei der Aluhett-Privatisierung Fördermittel abgezockt wurden
XXX würde auch als Schriftsteller durchgehen. Der Mann, der im Saal 96 des Landgerichtes Halle sitzt, ist eine feingliedrige Person. Sein Gesicht hat einen leicht melancholischen Zug, der nur manchmal ins verhalten Ironische spielt. Das Haar ist bohemehaft aus der hohen Stirn nach hinten gekämmt; die schmalen Hände blättern durch ein Bündel Papier. Dann gleitet sein Blick aufs stuckverzierte Portal hinter der Richterbank. Es scheint, als sei XXX in Gedanken ins Reich der Imagination entfleucht.
Glaubt man den Ermittlern, deren fünf Jahre währende Puzzlearbeit XXX und drei seiner früheren Vertrauten auf die Anklagebank gebracht hat, dann lebte der heute 39-Jährige auch in einer Welt der Erfindungen, als er 1995 erstmals auf dem Lichtlöchlerberg in Hettstedt auftauchte. Dort stehen monumentale Fabrikhallen auf einem Plateau, von dem der Blick über die geduckten Häuser der Bergarbeiterstadt geht, bevor er sich an den monströsen grauen Halden fängt, die dem Mansfeld das Gesicht geben. In den Hallen stehen Schmelzöfen, Walzstraßen und Pressen, auf denen Kupfer und Aluminium verarbeitet wurden. Ihre Betreiber, darunter die Firma Aluhett, waren Relikte des Mansfeldkombinats »Wilhelm Pieck«.
Würde man die Geschichte von Aluhett als Märchen erzählen und nicht als das Trauerspiel, die sie aus heutiger Sicht ist, wäre XXX ein Prinz, der ein schlummerndes Reich erwecken wollte. Seit Februar 1995 steckte die 1992 privatisierte »Aluhett Aluminiumwerk GmbH Hettstedt«, wie der Betrieb damals hieß, im Konkursverfahren. Obwohl ein Investor mit kräftiger Hilfe aus öffentlichen Kassen die veralteten Anlagen aufpoliert hatte, war der erste Anlauf für den Betrieb gescheitert. 533 Menschen standen vor der Arbeitslosigkeit und das Fundament für einen - wie man heute sagen würde - »industriellen Leuchtturm« auf der Kippe. Da kam XXX.
Das Konzept, mit dem er in Hettstedt und in Magdeburger Ministerien vorsprach, »hatte Charme«, sagt Katrin Budde, SPD-Landtagsabgeordnete und damals Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses. XXX versprach, den Betrieb mit 300 Beschäftigten weiterzuführen und rund 53 Millionen Mark zu investieren. Zudem sollte die russische Firma Stupino ins Boot geholt werden, die man in Hettstedt aus DDR-Zeiten als Kunde kannte. Das Angebot XXXs schien handfester als das eines Mitbewerbers. Das Votum über Schließung oder Weiterbetrieb samt neuer Zuschüsse, erinnert sich Budde, fiel zu Weihnachten 1995. Die Aufgabe des Standortes sollte um jeden Preis verhindert werden, ergänzt ihr PDS-Kollege Wolfgang Süß, denn »in der ostdeutschen Industrie galt: Was einmal weg ist, kommt nicht wieder.«
Ziel war das Anzapfen öffentlicher Kassen
Was die Abgeordneten und selbst Behörden von Land und Bund nicht erkannten: XXXs Firmenkonzept war offenbar Blendwerk, das nicht auf einen Erhalt des Unternehmens angelegt war, sondern auf das Anzapfen von öffentlichen Kassen. Von »vorgetäuschten Absichten« spricht die Staatsanwaltschaft. Sie wirft XXX und drei Mitstreitern vor, mit »Scheingeschäften« rund 20,5 Millionen Euro an Fördermitteln erschlichen zu haben, und erhob Anklage wegen schweren Betrugs sowie Steuerhinterziehung und weiterer Delikte. Prozessbeobachter sprechen von einem der größten Fälle von Wirtschaftskriminalität in Deutschland.
Entflochten werden muss in dem Verfahren, zu dem 56 Zeugen geladen sind und das mindestens bis April 2005 dauern soll, ein engmaschiges Netzwerk von Firmen, Gesellschaften und Beteiligungen, als dessen »geistigen Urheber« die Ermittler XXX vermuten. Er soll Konstrukte ersonnen haben, deren Komplexität den verwirrenden Zeichnungen eines MC Escher oder den Romanhandlungen eines Umberto Eco ähnelt. In der Anklageschrift wimmelt es von Managern, Vorständen und Beratern, die manchmal nur für Wochen im Amt waren. Der Staatsanwalt spricht von »Scheinfirmen, Scheinverträgen, Scheingeschäften«.
Die vermuteten Gaunereien hatten offenbar nur einen Zweck: Fördermittel abfassen. XXXs Firmennetzwerk Triacom habe jedoch nicht einmal das dafür nötige Eigenkapital besessen, meint die Staatsanwaltschaft. Sie hat einen »erdachten Geldkreislauf« rekonstruiert, mit dem Behörden nach vielen Kontobewegungen schließlich Geld als Eigenkapital untergeschoben wurde, das die öffentliche Hand zuvor selbst gezahlt hatte - worauf neue Schecks und Bürgschaften gewährt wurden.
Weil für Bürgschaften ausgeglichene Bilanzen verlangt werden, habe man auch diese manipuliert, sagt die Anklage. Um 1997 ein Bilanzloch von sechs Millionen Euro zu stopfen, seien 4000 Tonnen russisches Aluminium gekauft und danach mit Gewinn wieder nach Russland veräußert worden. Allerdings fand die gesamte Transaktion nur auf dem Papier und mit fiktiven Kunden statt. »Die russischen Firmen«, sagt der Staatsanwalt, »haben zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr existiert.« Und das Aluminium, sagt Egbert Wiele, ist nie in
Hettstedt angekommen: »Ein paar alte Panzerräder, das war alles.«
Wiele gehört - neben den Steuerzahlern, deren Geld in dem Hettstedter Blendwerk versickerte - zu den realen Leidtragenden des erfundenen Wirtschaftswunders. Der kantige Mann, dessen muskulöser Nacken ihn als einen ausweist, der zupacken kann, hat seit 1992 bei Aluhett gearbeitet und ab Juni 2001 den Betriebsrat geleitet. Zu diesem Zeitpunkt war XXXs erste Spekulationsblase bereits geplatzt. Im Oktober 1999 seien Ermittler in den Aluhett-Büros auf dem Lichtlöchlerberg »einmarschiert«, sagt Wiele und tippt auf ein eng beschriebenes Blatt, auf dem er die Aluhett-Geschichte rekonstruiert hat. Dann ging das Unternehmen in die Insolvenz. »Die zweite von mittlerweile vier Pleiten«, sagt Wiele und lacht. Amüsiert klingt das Lachen nicht.
Wer Wieles Chronik studiert, wähnt sich in einer Groteske, in der Pannen auf Peinlichkeiten folgen. Nach einer Teilung des Unternehmens, bei der das Walzwerk abgetrennt wurde, folgten für die Gießerei im Sommer 2002 und im Herbst 2003 weitere Insolvenzverfahren. Stets gab es neue Anläufe, gefolgt von erneutem Scheitern. »Wir haben immer gehofft, nun wäre es etwas Substanzielles«, sagt Wiele, der wie seine Kollegen oft Monate ohne Lohn arbeiten musste und immer mehr von ihnen in die Arbeitslosigkeit geschickt sah. Die Hoffnung trog: »Lange hat es nie gehalten.«
Den von Journalisten, aber auch von der Opposition regelmäßig aufgefrischten Vorwurf, in Hettstedt seien Millionen ohne Sinn und Verstand an windige Geschäftemacher verschleudert worden, wischt Wiele indes strikt vom Tisch. Die Anlagen, in die nach 1992 viel Geld investiert wurde, seien »zum Weiterarbeiten verdammt«, sagt der Arbeiter. Außerdem habe man versuchen müssen, die Fachleute im Lande zu halten - als eine Option auf eine industrielle Zukunft der Region, auch wenn der Altersschnitt im Werk inzwischen bei 48 Jahren liegt und bei den beiden Aluhett-Nachfolgern zusammen kaum noch 110 Menschen arbeiten. »Von den Betrieben hängen viele Existenzen ab«, sagt Wiele: Handwerker, Händler, Gewerbetreibende - »auch wenn manche von denen die Millionen lieber selbst bekommen hätten«.
Wurden Mittel leichtfertig verplempert?
Auch Landespolitiker bestreiten, Fördergelder - bis 1999 wurden allein fast 250 Millionen DM gezahlt - leichtfertig verplempert zu haben. »Alle Entscheidungen dieser Art waren mit Chancen, aber eben auch mit Risiken verbunden«, sagt der frühere PDS-Abgeordnete Wolfgang Süß, der »keinem unterstellt, luschig gearbeitet zu haben«. Das gilt auch für das Landesförderinstitut, dessen Mitarbeiter der XXX-Anwalt Daniel Krause als erste im Zeugenstand sehen möchte, weil sie »alles gewusst« hätten. Den Behörden bei Land und Bund wirft Krause vor, »nicht geprüft« zu haben.
Aber »auf die Unterlagen sind viele hereingefallen«, sagt Budde und weist darauf hin, dass »selbst die Staatsanwaltschaft« jahrelang habe ermitteln müssen: »Es war nicht so, dass wir unter fünf Interessenten den schlechten ausgewählt hätten.« Die SPD-Politikerin und zeitweilige Wirtschaftsministerin das Landes Sachsen-Anhalt erinnert Kritiker aus anderen Fraktionen zudem daran, dass Entscheidungen zu Aluhett stets parteiübergreifend gefällt worden seien.
Ob sich der Aufwand aus heutiger Sicht gelohnt hat, ist umstritten. Der aus dem Aluhett-Erbe hervorgegangene Walzwerksbetrieb wurde vor wenigen Tagen an einen kanadischen Investor verkauft; über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Auch für die Gießerei hat sich vor einiger Zeit ein fünfter Interessent gefunden; wie lange das Engagement anhält, ist offen. »Es wird produziert«, sagt Wiele, »das ist das Wichtigste.« Auch Süß ist zuversichtlich. Der Ingenieur, der einst selbst in dem Hettstedter Betrieb arbeitete, sieht Perspektiven für einen Metallurgie-Standort mit »vielleicht einmal 200 Stellen«. Budde ist skeptischer. Zwar gebe es Beispiele dafür im Land, dass auch »späte Privatisierungen« zu Erfolgen führen. Die Chancen für einen Aluminium-Leuchtturm im Mansfeld indes sind nach Meinung der SPD-Politikerin vertan: »Natürlich ist das gescheitert.«
Der Prozess in Halle gegen XXX und seine drei einstigen Mitstreiter wird daran nichts ändern. Er könnte dafür sorgen, dass »die weitere Entwicklung in Hettstedt nicht mehr von alten Geschichten belastet ist«, sagt Süß. Von Genugtuung will der Politiker aber ebenso wenig sprechen wie Ex-Betriebsrat Wiele. »Das ist Geschichte«, sagt der Arbeiter, der nicht die Absicht hat, sich in den malerischen Saal 96 des Hallenser Gerichts zu setzen und das Verfahren gegen die Angeklagten in ihren teuren Anzügen zu beobachten. Die Menschen in Hettstedt hätten andere Sorgen, sagt Wiele. Die wirtschaftliche Lage ist bescheiden geblieben. Wer Arbeit hat, verdient nicht viel; wer keine hat, findet auch nichts. Derzeit gebe es »einen Riesenansturm« auf ein paar neue Ein-Euro-Jobs. »Dass Menschen sich selbst darum noch reißen«, meint Wiele, »das sagt doch eigentlich alles.«
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