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9 Jc/i unterliege meiner eigenen Wehrpflicht 9

Urteil gegen Totalverweigerer Sascha Braumann wurde in der Berufung abgemildert

  • Lesedauer: 2 Min.

„Es handelt sich hier nicht um eine Gewissensentscheidung“, resümierte der Staatsanwalt gestern im Schlußplädoyer der Berufungsverhandlung des Totalverweigerers Sascha Braumann vor dem Berliner Landgericht. Mit seinem Schluß, daß kein „besonders sensibles Gewissen“ vorliege, sondern „eine Aversion gegen die politische Zielsetzung des Grundgesetzes“, erstickte er nicht nur sämtliche Zwischentöne des Prozesses, sondern drehte dem 24jährigen auch noch das Wort im Munde herum.

Das Gericht wollte in seinem Urteil denn auch den Ansichten der Anklage nicht folgen. Es lautet vier Monate Haft, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung, und erkennt damit eine Gewissensentscheidung an, die

eine Bewährungsstrafe durchaus rechtfertige. Das Gericht argumentierte, daß ein Totalverweigerer für dieselbe Tat nicht nochmals bestraft werden dürfe.

Die Berufung des Angeklagten, der 1991 mit dem Etikett „erster ostdeutscher Totalverweigerer“ im Medienrummel gestanden hatte, richtete sich gegen ein Urteil vom Oktober 1995, das ihn für vier Monate direkt hinter Gitter bringen sollte. Grund: Dienstflucht. Was meint, daß er sich geweigert hatte, den Zivildienst überhaupt erst anzutreten.

Noch von der NVA gemustert, war Braumann 1991 nachts von Feldjägern aus der Wohnung geholt worden. Fünf Wochen lang mußte er in einer Arrestzelle der Bundeswehr

zubringen, weil er der Einberufung zum Wehrdienst nicht gefolgt war. Er wurde später als Verweigerer anerkannt, dann aufgefordert, den Zivildienst anzutreten, obwohl er, wie er gestern erneut betonte, immer deutlich gemacht hatte, daß er auch den Zivildienst ablehnt.

Für ihn durchaus eine Gewissensentscheidung: „Mein Gewissen sagt mir, was ich zu tun und zu lassen habe, es hört aber nicht auf beim Dienst mit der Waffe“, sagte er gestern. Er stellte vielmehr klar, daß für ihn auch der Zivildienst Bestandteil der Wehrpflicht sei und damit Zwangscharakter habe. Er wehre sich dagegen, daß er kein politisches Recht habe, beides zu verweigern. Davon abgesehen sei damit zu

rechnen, daß im Ernstfall auch die Zivildienstleistenden zur Unterstützung der Bundeswehr herangezogen würden.

„Bis heute denke ich, daß ich das Risiko einer Strafe eingehen muß. Insofern unterliege ich auch einer Wehrpflicht, nämlich meiner eigenen.“

Braumanns Verteidiger stellte den Antrag, das Verfahren auszusetzen, was allerdings abgelehnt wurde. Er forderte, es dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, da „die gegenwärtige sicherheitspolitische Situation eine Aufrechterhaltung der Wehrpflicht nicht mehr rechtfertigt.“

Dem Vernehmen nach wird Braumanns Anwalt wohl Revision einlegen.

BETTINA HEIDKAMP

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