Holocaust-Überlebende klagen gegen Bush-Clan
Der Ehrenpräsident des Auschwitz-Komitees und andere beschuldigen USA der Kollaboration
Unlängst stellte das Aerial Reconnaissance Archive an der Keele University fünf Millionen Luftbilder aus dem Zweiten Weltkrieg vor. Aufgenommen hat sie die britische Luftwaffe. Besonders bedrückend sind jene, die die rauchenden Krematorien von Auschwitz zeigen. Die gestochen scharfen Aufklärungsfotos lösten erneut eine Debatte darüber aus, warum die alliierten Luftflotten die Zufahrten zum Vernichtungslager nicht bombardiert haben.
Seit 1943, spätestens seit 1944 hätte vor allem die US-Air-Force die Möglichkeit gehabt, die Schienenverbindungen ins KZ-Auschwitz zu unterbrechen. Und damit das Massenmorden der Nazis zumindest zu behindern. Doch die Bomber kamen nicht. Bereits seit Jahren wirft die »Internationale Projektgruppe Auschwitz-Sammelklagen« (IPAS) daher der damaligen US-Regierung Beihilfe durch Unterlassung vor. Einer der Kläger heißt Kurt Goldstein. Er ist Ehrenpräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees und betont: »Kein Jota will ich ablassen von der Schuld der deutschen Nazi-Verbrecher. Sie sind verantwortlich für die Vernichtung der europäischen Juden!« Und natürlich schätze er all jene US-Bürger, die als Soldat oder in anderer Weise gegen das Nazi-Regime gekämpft haben. »Doch man muss ebenso jene benennen, die durch Untätigkeit oder Kollaboration zum Völkermord beigetragen haben.«

Goldstein, der 1933 als Kommunist und Jude aus Nazi-Deutschland fliehen musste, war als spanischer Interbrigadist in Frankreich interniert und dann vom Vichy-Regime an das deutsche Regime ausgeliefert worden. Er kam nach Auschwitz, dort trieb man ihn zur Sklavenarbeit in eine Kohlegrube. Wie viele andere Kameraden habe er sich Tag für Tag gewünscht, die US-Bomber würden endlich anfliegen, erinnert sich Goldstein und verbindet das mit der Vorstellung, dass Himmlers Mörderbande so vielleicht hunderttausende Juden nicht ins Vernichtungslager hätten fahren können. Die US-Air-Force hatte seit Ende 1943 die Fähigkeit zu solchen punktgenauen Angriffen. Pläne waren ausgearbeitet. Doch selbst einflussreiche US-Regierungsmitglieder wie Finanzminister Henry Morgentau konnten die Militärführung nicht dazu bewegen. Standard Oil und andere waren stärker. Es gibt Berichte, dass Vizekriegsminister McCloy daher »die Sache« einfach zur Seite legte.
Im Jahr 1944 wurden über 400 000 Juden aus Ungarn, Deutschland, vom Balkan und aus Frankreich ins Gas getrieben.
Im Jahr 2001 übersandte die in Budapest ansässige IPAS-Gruppe eine Klage gegen die USA an ein zuständiges Gericht im Staate Washington. Das wies sie ab. Nun müssen sich US-Richter aber erneut mit dem unbequemen Thema befassen, denn eine zweite Klageschrift liegt vor. Sie richtet sich gegen die Familie Bush, denn »deren Macht und Einfluss gründet sich zu einem nicht geringen Teil auf Erträge aus der Kollaboration mit Hitler-Deutschland«, sagt Goldstein.
Dass Hitler so mächtig war und keine US-Bomber über Auschwitz erschienen kamen, »geht auch auf das Konto dieser Bande profitorientierter Leute, zu denen der Großvater des derzeitigen US-Präsidenten gehörte«. Prescott Sheldon Bush, Begründer der Bush-Dynastie, der es bis zum US-Senator brachte, gehörte zu jenen US-Kreisen, die Hitlerdeutschland stark gemacht haben und daran nicht schlecht verdienten. Über diese Geschäfte berichtete unlängst der britische »Guardian« und berief sich dabei auf jüngst freigegebene US-Archive. Prescott Bush war Mitbegründer und Direktor der Union Banking Corporation (UBC). Die gehörte zum Thyssen-Konzern und Bush hielt im Auftrage der Bank voor Handel en Scheepvarrt in Rotterdam - gleichfalls eine Thyssen-Firma - Aktien, die durch die Rüstungsproduktion an Wert gewannen. Belegt sind Bush Verbindungen zur Consolidated Silesian Steel Company (CSSC), die im Krieg Sklavenarbeiter auch aus Auschwitz ausbeutete. An der CSSC waren die IG-Farben beteiligt. In den Prozessakten des Kriegsgewinnlers Flick soll der Name Bush mehrmals auftauchen.
Erst acht Monate nach dem Kriegseintritt der USA hat die US-Regierung Geschäfte mit dem Feind per Beschlagnahme untersagt. Nach dem Krieg wurde die UBC-Bank an ihre US-Besitzer zurückgegeben, die einen guten Schnitt machten. Was Prescott Bush hinterließ, verhalf Bush-Sohn und einem Bush-Enkel zu Einfluss und Macht - und dem Chefsessel im Weißen Haus, unterstreicht Goldstein.
In der Klage wird der Vater des derzeitigen US-Präsidenten, Expräsident George H. W. Bush, mit 400 Millionen Euro Schadenersatz bedroht. Goldstein, der demnächst 90 Jahre alt wird, betont, dass er selbstverständlich nicht einen Cent von diesem Gelde haben will. Für den Holocaust-Überlebenden ist die Klage vor allem eine politische Aufgabe. Er sagt, er sei es jenen schuldig, die von den Nazis ermordet wurden. Und die von den USA im Stich gelassen wurden, damit bei einigen die Profite stimmten.
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