- Kultur
- Michael Frayns „Der nackte Wahnsinn“ im Renaissance Theater Berlin
Ergötzendes Tohuwabohu
Im zähen Ringen um die Gunst des Publikums läßt das Berliner Renaissance Theater jetzt hinter die Kulissen blicken. Und zwar mit Hilfe der, sagen wir mal, Totalkomödie „Der nackte Wahnsinn“ des englischen Journalisten, Romanautors und Dramatikers Michael Frayn (Jahrgang 1933). Das exzellent gebaute Stück, eine Folge irre komischer Szenen, zeigt Schauspieler-Alltag vor und hinter den Kulissen, vor und nach einer Premiere, bei einer Probe und während der Vorstellung. Oder so gesagt: Eine Tournee-Truppe wackerer Provinz-Mimen balanciert zwischen Erfolg und Niederlage, zwischen beruflichem Ehrgeiz ürid'privater “Lässigkeit, zwischen 1 Arbeitseifer und erotischem Abenteuer. Alle Mühe hilft nichts, ihr Spiel endet in unfreiwilligem Klamauk.
Den komischen Widerspruch, wie sich Schauspieler zwar redlich engagieren, aber an der Tücke des Objektes und an ihren eigenen Unzulänglichkeiten scheitern, hätte Regisseur Oswald Lipfert vielleicht prononcierter ausspielen lassen können. Für ein Ensuite-Ensemble jedoch wie das des Renaissance Theaters, das ja nur für eine Inszenierung engagiert wird und Akteure unterschiedlicher Spieltraditionen vereint, ist die erzielte Präzision im Zusammenspiel
höchst anerkennenswert. Furioser Trubel mal in, mal hinter einem Wohnzimmer eines englischen Landhauses (Bühnenbild Dieter Klaß) - ständig wechselnde Requisiten, pausenloses Auf- und Abtreten durch diverse Türen, alle Verwirrung situativ und minutiös genau auf den Punkt - das Tohuwabohu stimmt. Ohne zu verkrampfen, wird locker vom Hocker gespielt.
Drastisch komisch, die Situationen weidlich auskostend, liefert Ursula Karusseit die
Schauspielerin Dotty Otley, die die Haushälterin Mrs. Clackett in „Spaß muß sein“ gibt, aber Probleme hat, sich zu konzentrieren, da sie zur Zeit mit ihrem Kollegen Garry Lejeune liiert ist. Was nicht so läuft, wie gewünscht, weshalb sie intrigiert. Den Garry macht Boris Aljinovic dezent komisch, nicht dick auftragend, immer mit einer Miene verbindlichster Unschuld, als widerfahre dem jungen Schauspieler ständig etwas, was er nur mit aller Macht und letzter Kraft gerade noch bewältigt. Dabei ist Aljinovic von bemerkenswerter artistischer Perfektion. Den versoffenen Schauspieler Selsdon Mowbray, der seine Auftritte just immer noch schafft,, serviert,, Ralf Wolter kauzig komisch, getragen von einer herrlichen Gemütlichkeit. Amüsant komisch ist das Spiel Barbara Schmieds, die die unbeholfene, naive Brooke Ashton gibt, die meist vor Begriffsstutzigkeit trieft, ansonsten ihren Regisseur anhimmelt. In den übrigen Rollen Anne Rech (Belinda), Anna Böttcher (Regieassistentin Poppy), Helmut Rühl (Frederick), Frank-Thomas Mende (Regisseur Lloyd) und Andreas Unglaub (Inspizient Tim).
Ein ergötzender Abend mal wieder. Langanhaltender, herzlicher Beifall.
GERHARD EBERT
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