- Politik
- Neue Serie: Ins Wasser geworfen Der Bürgermeister bin
ich
Dr. Harald Buttler von der PDS ist seit 176 Tagen in Berlin-Marzahn im Amt In aller Bescheidenheit:
Von Dr. Christina Matte (Text) und Joachim Fieguth (Bild)
Kurz vor 18 Uhr lächelt Dr Harald Buttler noch. Nicht so breit wie letzten Herbst, als er mit seiner Partei das Bürgermeisteramt in Marzahn holte, aber dennoch. Es ist ein faltenfreies Lächeln und sitzt wie angegossen. Makellös wie sein Tuchanzug, als habe er beides vom selben Schneider. Aber das ist okay. Manchmal ist es wichtig, gut angezogen zu sein. Bei Stefan Zweig kann man nachlesen, welchen Wert zum Beispiel Maria Stuart auf ihr letztes Kleid legte. Es gab ihr Würde, als sie zum Richtblock schritt.
Nun kann man eine Hauptversammlung der Marzahner PDS nicht mit einer Hinrichtung vergleichen. Wenn geschlachtet werden soll, dann macht er nicht mit, erklärt jemand gleich zu Anfang. Ein anderer Redner versichert: »Harald, wir sind hier nicht die Kreisparteikontrollkommission.« Obwohl es natürlich um Buttlers Kopf geht. Er soll ihn nicht auf den Block legen, das nicht, doch ein Kniefall scheint angemessen. Jeder, von dem so was erwartet wird, ist für mich erst mal ein armes Schwein und tut mir leid. Ich weiß nicht, wer recht und wer unrecht hat, aber ich mißtraue Leuten, die behaupten, es zu wissen.
Gegen 18.50 Uhr beginnt Buttler zu schwitzen. Sein kahler Schädel fängt an zu glänzen, als der Bezirksvorsitzende meint: »Wir müssen heute abend die politische Glaubwürdigkeit der Marzahner PDS wiederherstellen.« Applaus. Der Saal, in dem früher das Erich-Weinert-Ensemble probte, ist brechend voll, und die Genossin, die ihren roten Opel Corsa umsetzen soll, weil sie ihn vor einer Ausfahrt geparkt hat, muß sich durch die Reihen kämpfen. Buttler sitzt mittendrin. Von hier aus kann er das Schild gut sehen, mit dem die Jungen Genossinnen die Bühne dekoriert haben: Veränderung beginnt mit Opposition und (ver)endet mit Harald Buttler.
Gegen 19.30 Uhr tritt er ans Mikrofon. Er soll seine Fehler bekennen. Jeder hier scheint davon auszugehen, daß er welche gemacht hat, nur er nicht. Das läßt er auch durchblicken. Ja, er hat am 1. Mai, als Rechte in Marzahn marschierten, keine Gegenwehr organisiert, doch rechts sei er deshalb noch lange nicht. Was er über die 47-Millionen-Sparauflage des Senats erzählt, die er ohne Aufmucken akzeptiert hat, ist interessant, aber kaum zu verstehen. Zwischenrufe aus dem Saal: »Nicht mit uns, mit der PDS!« Buttler sagt was von drohender Haushaltssperre, von Amboß oder Hammer sein, und die Genossen am Vorstandstisch halten sich die Augen zu, schaudernd. Als ob sie dann nichts mehr hören müßten.
Gegen 20.30 Uhr wird klar, daß jemand nicht zwangsläufig ein Held ist, nur weil ein Heer gegen ihn antritt. Und daß man niemanden leichtfertig mit Maria Stuart vergleichen sollte. Während der Jugend am Rande der Puls rast und ihr Herz nach Revolution schreit, hat Buttler seine Hände um den Hals einer Bierflasche gelegt, die auf seinen Knien steht. Es gibt Bilder, die hätte man lieber nicht gesehen. Die Grenzen eines Mannes können so eng wie ein gutdeutsches Wohnzimmer sein; nicht jeder will sich darin einrichten.
Morgens, gegen eins, hat Buttler sich entschuldigt. Mit einer Rede, lauwarm wie Bier Damit hat er seinen Kopf gerettet. Und der PDS einen Bürgermeister.
Harald Buttler ist gern Bürgermeister Das ist das mindeste, was man von ihm erwarten darf. Die Sekretärin im Marzahner Rathaus sieht ihn inzwischen öfter als seine Frau, und sie serviert ihm den Kaffee ohne Zucker Die Pflanzen in seinem Zimmer muß sie nicht gießen; die sind Kunst und sehen nach einem harten Arbeitstag noch genauso frisch wie bei Sonnenaufgang aus. Buttler auch. Er hat seine Pressereferentin mit an den Konferenztisch gebeten, wir warten, bis er zwei Stadträte von CDU und SPD angeregt plaudernd zur Tür geleitet und sich zu uns gesetzt hat. Dann redet er und kein anderer Hier ist er kein armes Schwein, und niemand erwartet, daß er ein Held ist. Hier ist er zu Hause.
Natürlich spricht er -von jenem Maiabend. Der liegt jetzt ein paar Wochen zurück, doch er kann ihn immer noch nicht wie einen Fussel vom Revers schnippen. »Schmutzige Wäsche schafft man ins Waschhaus, damit sie sauber auf die Leine kommt«, zitiert er seine westpreußische Großmutter Kurzzeitig blinzeln hinter der Goldrandbrille die Augen eines Rehs, das eine Ladung Schrot abgekriegt hat: »Das geht in jeder Partei, bloß bei uns nicht. Wir sind die einzige Partei, die ihre Leute selbst demontiert.« Doch es klingt nicht beleidigt, nur eben sehr traurig. Als sei ihm gerade klar geworden, daß Fallsucht eine Krankheit ist,
und daß es in seiner Partei bald viele »Fälle« geben könnte: Da jagt sie ihre Amtsträger sozusagen übers Neuland, damit sie es untern Pflug nehmen, und es dürfte ein ganz schönes Kunststück sein, zwischen Wirklichkeit und Vision, Verantwortung und Opposition nicht auf eine Mine zu treten. Klar, daß ab und zu eine hochgeht. Und dann Pfeifkonzerte vom Rande: Haltet ihn, der ist vom We*g abgewichen!
»Ich habe Fehler gemacht, aber ich habe mich nicht geirrt«, sagt er heute. Seine Pressereferentin schreibt mit, es ist ein Satz zum Vorzeigen. Daß er die Haushaltsentscheidung nicht ausgesetzt hat, um sich mit seiner Fraktion zu beraten, sei ein kardinaler Fehler gewesen. Zumal »dort so viel Expertenwissen versammelt ist, daß es möglich gewesen wäre, zusammen eine Lösung zu finden.« Die Referentin kommt kaum mit. Die Entscheidung jedoch, die Sparauflage von 47 Millionen Mark für Marzahn zu untersetzen, sei hart, aber kein Irrtum gewesen. Daran hält er fest. »Die Leute haben mich nicht gewählt, weil ich Irrtümer begehe.«
Wir rechnen das kurz mal zusammen durch. Was wäre passiert, wenn er nein gesagt hätte? »Zuerst mal«, meint Buttler, »überhaupt nichts.« Da das Abgeordnetenhaus dem Sparhaushalt bereits zugestimmt hatte, seien die 47 Millionen nicht mehr dagewesen, sondern längst weg.
Eben. Hätte er dann den Mund nicht um so weiter aufreißen können? Buttler wiegt den Kopf, als sei er aufgefordert worden, Russisches Roulette zu spielen. »Naja«, räumt er ein, »dann hätte man
uns den Sparkommissar auf den Hals gehetzt. Und wenn der Sparkommissar erst mal da ist, ist nur noch das Lebensnotwendige möglich.« Er halte es für cleverer, wie die Dinge nun mal liegen, gestalten, statt nur verwalten zu können. »Das Gesetz des Handelns beherrschen«, sagt er und hebt den Zeigefinger.
Wie die Dinge nun mal liegen? Was macht Buttler da so sicher? Der Beweis steht ja noch aus, er hat es ja nicht ausprobiert. »Nein«, sagt er, »doch ich sehe die Chance nicht, die Verantwortlichen in die Pflicht zu nehmen. Ich kann doch nicht ausbügeln, daß die PDS im Abgeordnetenhaus nur 34 Stimmen hat! Daß sie die hat, gibt ihr die Chance, ihre Oppositionsrolle auszufüllen. Mehr nicht, wir sollten ehrlich sein. Und uns eingestehen, daß das, was die PDS in der gesetzgebenden Versammlung nicht kann, der Bürgermeister auf der Verwaltungsebene auch nicht kann. Statt dessen wird sich aufgegeilt: Diese Buttlers und Ostrowskis geben Positionen auf, diese Anpäßler, diese pragmatischen Typen!«
Buttler hat sich jetzt auch etwas hochgeschaukelt. Aber Schützengräben in den eigenen Reihen mag er nicht. Ostrowskis Thesen teilt er zwar »nicht unbedingt, nicht in jedem Punkt, aber wenn nur zehn Prozent Kluges in dem Papier drinstehen, sollte man darüber nachdenken, statt den Rest zu verurteilen. Es ist wichtig für die Partei, wie wir miteinander umgehen.« Nachdem er das losgeworden ist, kneift er die Rehaugen zusammen und gestattet dem Lächeln, sich auszubreiten. Als denke er an etwas sehr Schönes. Er denkt an ein Männerabendbrot! Das kommt seiner Vorstellung vom Umgang miteinan-
der am nächsten: »Man nimmt sich füreinander viel Zeit, trinkt Bier, entwickelt Strategien, ohne jemanden zu belehren...« Ein bißchen klingt es, als sei er im falschen Verein.
Das mit dem falschen Verein sieht er anders. Plötzlich sind wir beim Kriegsende, beim langen Treck aus Westpreußen. »Dreimal eingebombt«, sagt Buttler, »ich bin ja nicht wegen irgendwelcher Theorien dazugekommen, sondern weil ich mir damals drei Dinge geschworen habe: Nie wieder Krieg, nie wieder hungern, nie wieder frieren.« Es kann kaum schlichtere Gründe geben, aber auf einmal stört mich sein knitterfreier Anzug nicht mehr so sehr Und ich habe nichts mehr gegen Wohnzimmer. Ich denke, wer über Wohnzimmer grinst, hat wahrscheinlich immer eins gehabt.
Buttler ist jetzt bei der Wende. Er sei damals dabeigeblieben, weil er »zu der tiefen Schlußfolgerung gelangte, daß nicht die Ideale falsch waren, sondern daß sie gescheitert sind, weil aus der verbalen Verbindung zwischen Demokratie und Sozialismus keine Wahrheit geworden ist.« Seine Pressereferentin muß sich ziemlich anstrengen, solche Sätze mitzuschreiben. Doch sie hat Glück, er faßt noch einmal zusammen, und diesmal wird es ein guter Satz: »Mich hat die DDR geprägt, die Erkenntnis, daß es ohne Demokratie nicht geht.« Diese Erkenntnis, glaubt Buttler, teilt er mit der Marzahner »Basis«. »Das sind lauter geschichts-, partei- und lebenserfahrene Sozialisten, die mit der eigenen Vergangenheit gelassen umgehen«, schwärmt er. Und: »Die haben eine größere Fähigkeit zur Bewertung der Realität.« Anders als »Revolutionslyriker«, die nur »große Sprüche klopfen und nicht akzeptieren wollen, daß die Leute gut leben möchten.« Sozial und solidarisch, und zwar hier und heute, das sei es, was die Leute verstehen. Und wenn welche aus seiner ersten Reihe beim Fest mit diesem und jenem ansto-ßen, aber nicht mehr mitkriegen, daß da auch einer auf den Hof kommt, der sich kein Bier mehr kaufen kann, ja dann tut ihm das schon sehr weh...
Demokratie - für Buttler bedeutet das, »in der Pflicht der Realitäten zu stehen«. Solange es »für andere Realitäten keine Mehrheiten in der Gesellschaft gibt«. Als Wirtschaftshistoriker weiß er natürlich, daß »dort, wo Mehrwehrt produziert wird, Ausbeutung stattfindet«, aber wenn seine Bezirksverordneten beschließen, an der Marzahner Promenade neuen Mittelstand anzusiedeln, kann er sich nicht taub stellen. »Im Gegenteil, dann bin ich verpflichtet, beste Bedingungen zu schaffen. Auch wenn ich anders darüber denke.« Trotzdem sieht er Spielräume für linke Kommunalpolitik, »die sind noch gar nicht ausgeschöpft«. Er hat Verfassungsrecht, Wirtschaftsrecht und Verwaltungsrecht gebüffelt, weiß, wieviel Investitionsvolumen wieviele Arbeitsplätze schafft, und jetzt träumt er mal ein bißchen: »Das Potential hier ist ja enorm! Ich habe hier ja Milliardäre! Bei mir am Tisch sitzen ja Banker! So was muß man doch ausnutzen! Denken Sie bloß an die Platte, die so schlecht nicht ist, wie man uns weismacht. Wenn wir die hier selbst sanieren, schaffen wir damit Arbeitsplätze. Noch mehr Arbeitsplätze entstehen, wenn wir Marzahn, Hohenschönhausen und Hellersdorf zusammennehmen. Das Gesetz der großen Zahlen löst eine Eigendynamik aus...«
Abends moderiert Buttler im Marzahner Freizeitzentrum eine Runde mit Unternehmern. Er hat sie eingeladen. In Marzahn fehlen 1600 Lehrstellen, und er will die Firmen ermuntern, ein paar Azubis mehr zu nehmen. Das Studiotheater ist bis auf den letzten Platz besetzt, und der Herr von der Handwerkskammer ist angenehm überrascht davon, »daß hier nach Feierabend mehr Leute im Publikum als in der Versammlungsleitung sitzen. Glauben Sie mir, das gibt es selten«. Auf seine Unternehmer kann Buttler sich verlassen. Sie schätzen ihn. Ein Fleischermeister aus Alt-Marzahn, der über 40 Leute und sieben Azubis beschäftigt, sagt, er könnte noch mehr ausbilden. »Wenn wir von Marzahn mehr Aufträge hätten.« In Hellersdorf beliefere er schon die Kitas, doch in Marzahn bis heute bloß die Bundeswehr Eine Hand wäscht die andere. Buttler notiert sich was und lächelt. Er scheint sich wohl zu fühlen. Wohler als in diesen Tagen auf Parteiversammlungen.
Was passiert eigentlich, wenn er sich eines Tages mit seinen Genossen berät, aber ihre Meinung nicht teilt? Wer ist dann der Bürgermeister? Buttler denkt nach: »Ein schwieriges Feld.» Dann kommt er doch zu einem Schluß: »In aller Bescheidenheit«, stellt er fest, »der Bürgermeister hier bin ich.«
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.