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»Schalom, Genossen«

Filmische Erinnerung an Schicksalsstationen des Berliner Ehepaars Zadek bei 3sat Von Werner Goldstein

  • Lesedauer: 3 Min.

Dokumentarfilme über »Jahrhundertschicksale« sind selten geworden. Der Satellitenkanal deutschssprachiger Länder, 3sat, zeigt mit »Schalom, Genossen« heute einen davon - eine bewegende ORB-Reportage.

Als ich vor gut einem halben Jahr die Erstaufführung des Films »Schalom, Genossen« im Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) sah, irritierte mich der Titel. Ging es doch bei dem Streifen um die Schicksalsstationen des jüdischen Ehepaars Zadek - Berlin, daß sie als jüdische Jugendliche unterm Hakenkreuz auf der Flucht vor dem nazistischen Holocaust verließen; London,^ wo sie im Exil Zuflucht fanden, und wieder Berlin, allerdings als DDR-Hauptstadt, in der sie sich aufgrund ihrer Ideale und der Hoffnung auf ein antifaschistischsozialistisches Deutschland bis zur Wende zu Hause fühlten. Wie, fragte ich mich als einer, der wie die Zadeks einen der letzten Züge nach England erwischte, kann man das hebräische Wort für Frieden, Schalom, als Synonym für persönliche und politische Entwicklung verwenden, die ja nicht im Gelobten Land der jüdischen Bibel, sondern im Deutschland der Holocaust-Täter und ihrer Nachfahren endet?

Gewiß, schon die ersten Bilder der Dokumentation - minutenlang geht es auf einem Pferdewagen durch brandenburgisches Land - führen nach Spreenhagen an der Storkower Straße zum ehemaligen jüdischen Landwerk Gut Winkel, heute LPG-Ruine. Vor 55 Jahren war es eine der vielen Ausbildungsstätten für junge Juden, die nach Palästina und zum Leben im Kibbuz, der landwirtschaftlichen Kommune, strebten - dorthin, wo »Schalom« täglicher Gruß war. Beide Zadeks, er Werkzeugmacher und Schlosser, sie Expedientin, waren dort nach ihrer Lehre in Berlin Ausbilder gewesen. Als Mitglie-

der des linkssozialistischen zionistischen Pfadfinderbundes »Haschomer Hazaier« (Junger Wächter), in dem Begriffe wie »Marx« oder »Manifest« keine Fremdworte im Gegensatz zu anderen jüdischen Jugendbünden waren, hatten sie schon in Berlin als einen ihrer Jugendführer den Jungkommunisten Herbert Baum kennengelernt. Später schlössen sich Zadeks seiner illegalen Gruppe an, die 1942 mit anderen jüdischen Zwangsarbeitern zusammen einen Brandanschlag auf die antisowjetische Propagandaschau im Berliner Lustgarten ausführte.

Gewiß: »Schalom« symbolisiert Schlüsselerlebnisse der beiden Zadeks: der Pogrom des 9 November 1938, das Wirken im zionistischen Jugendbund vor allem auf Gut Winkel und erschreckende Erlebnisse mit Gestapo-Beamten. Der Zwang zur Auswanderung erweist sich später für die beiden Liebenden als ein Glücksfall, der ihnfen das Asyl England eröffnet, während das Gros ihrer zurückbleibenden »Chawerim«, hebräisch Genossen, dem Holocaust zum Opfer fällt.

Ein Trauma der Zadeks, wie so vieler dem Holocaust Entronnener, das auch im Film verschiedentlich Ausdruck findet.

Doch das Schwergewicht der Dokumentation liegt retrospektiv auf ihren Erlebnissen in England während des Krieges, ihrem Wirken als überzeugte »Genossen« in der »realsozialistischen« DDR - mit ihren Möglichkeiten und nicht zuletzt Irrungen. Wozu zu zählen ist, und das spricht für die Ehrlichkeit der filmischen Aufzeichnung, daß auch existentielle Familienkonflikte nicht ausgespart werden. Die Tatsache zum Beispiel, daß die drei Töchter der Zadeks die DDR verließen, weil sie in ihr nicht wie die Eltern ihr »Land der Träume« sahen.

Zwei gestandene Dokumentaristen und Regisseure aus dem ehemaligen DEFA-Studio in Potsdam-Babelsberg, Gitta Nikkei und Wolfgang Schwarze, haben in höchst einfühlsamer Weise - gelegentlich eheliche Meinungsverschiedenheiten und vor allem Berliner Mutterwitz nicht ausklammernd - den einstündigen Streifen gestaltet. Für mich am eindruckvollstem nach den Stationen Berlin, London und Manchester die kürzliche Suche des 76jährigen nach seinen Eltern im Massengrab des Waldes von Bickarnieki. Das liegt bei Riga, der Hauptstadt des heutigen »freien« Lettland, in dem nun einstige SS-Mittäter höher geschätzt werden als ermordete Juden. Foto: Joachim Fiequth

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