Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • Tele-Tagebuch: Nochmals zu »Direktive 1/67« (ORB)

Nichts ist entschuldbar

  • Peter Hoff
  • Lesedauer: 3 Min.

Obwohl die Sendung »Direktive 1/67« schon auf der Medienseite eine bedenkenswerte Würdigung gefunden hat, gehören ein paar persönliche Eintragungen dazu auch in mein Tele-Tagebuch. Was im Namen des Sozialismus an Verbrechen geschah oder geplant wurde, ist unentschuldbar Und verstekken wir uns auch nicht hinter billigen Erklärungen. Die Geschichte der DDR, eines Staates, der an der Frontlinie eines fünfundvierzig Jahre währenden »kalten« Krieges gelegen war, bietet sie an.

Um so mehr sollten wir sie prüfen. Der 17 Juni 1953 war nicht nur jener Volksaufstand, auf den sich heute staatstragende Gedenkredner so gern beziehen, sondern schloß auch, acht Jahre nach der Zerschlagung des Hitler-Reiches, restaurative Momente ein. Wenn damals, Mitte der fünfziger Jahre unter den Bedingungen „offener Grenzen nach Westen, Sicherheitsmaßnahmen in der DDR geplant wurden, die einer Wiederholung zuvorkommen sollten, war dies vielleicht noch verständlich. Warum aber diese Pläne noch 36 Jahre danach immer wieder erneuert wurden, obgleich sich die Situation im Lande entscheidend verändert

hatte, ist nicht vernünftig zu begründen. Andersdenkende wurden als Feinde behandelt. Dafür gab es keinen Grund, gibt es keine Entschuldigung, zumal wir wissen, daß damit viele erst zu Feinden der DDR gemacht wurden. Deshalb ist ein Bericht wie »Direktive 1/67« (ORB) von Barbara Hanus wichtig. Wir können und dürfen uns nicht der Geschichte'entziehen, nicht schweigen wie unsere Eltern - um der Zukunft willen. Barbara Hanus untersucht in ihrer Fernsehdokumentation die Pläne der SED-Führung, am imaginären »Tag X« 86 000 DDR-Bürger (Stand 1988), die in der einen oder anderen Weise politisch »auffällig« ge-

worden waren, in Lagern zu isolieren. Der Fakt ist nicht neu, als ich das erstemal davon hörte, war ich erschrocken, entsetzt wie viele andere auch. Die Fakten auszubreiten ist immer noch notwendig. Einwände müssen jedoch gegen die Art und Weise dieser Faktenaufbereitung vorgebracht werden. Das MfS mit seinen unterschiedlichen Gliederungen soll nicht verklärt werden. Dennoch war es nur ein, wenn auch das wichtigste, Rad in dem Mechanismus, der da in Bewegung gesetzt werden sollte. Die Einsatzpläne, von Frau Hanus gezeigt, weisen eine wesentlich stärkere Differenzierung auf. Es ist richtig^“daß diese Pläne'jnen^äls parlamentarisch-demokratisch äls :i Gesetzeswerke bestätigt worden sind. In ihre Durchführung waren jedoch viele unterschiedliche Gremien einbezogen, darunter auch so harmlose wie die Zivilverteidigung, dem bundesdeutschen Katastrophenschutz vergleichbar Wir waren also

alle als Täter vorgesehen. Und wenn von den Bezirkssekretären der SED gerade Hans Modrow als Beispiel für den politischen Rigorismus der Partei ausgewählt wurde, wie er vordem schon als »Wahlfälscher« vor Gericht gestellt wurde, dann steckt dahinter, deutlich ablesbar, politische Absicht. Daß es Andersdenker auch in der SED gab - und Modrow ist in den Monaten vor dem politischen Zusammenbruch der DDR immer wieder gerade im Westen als »Hoffnungsträger« beansprucht worden -, soll vergessen gemacht, Modrow als PDS-Ehrenvorsitzender denunziert werden. Und da wendet sjcli das Blatt: Geschichte wird parteipolitisch instrumentalisiert, in ein Schema gepreßt. Wohlgemerkt: Nichts ist entschuldbar, vieles nicht erklärbar denn als Verbrechen. Doch achten wir darauf, daß heute keine neuen ideologischen Isolierungslager geschaffen und in sie wieder Andersdenkende verfrachtet werden!

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -