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  • Politik
  • ?JJ.HU.I.I.I.I.M1 Sextourismus

auch gen Osteuropa

Joanna Garnier, Vorsitzende von »La Strada« Kindermißbrauch nahe der deutschen Grenze

  • Lesedauer: 4 Min.

Auch wenn das Phänomen Sextourismus oft mit Südostasien identifiziert wird, ist es längst auch in Europa anzutreffen. Eine der wenigen Organisationen, die sich damit beschäftigt, ist »La Strada« aus Warschau. Mit der Vorsitzenden der Frauenorganisation, Joanna Garnier, sprach in Wien Hannes Hof-

bauer.

? Vor unseren Augen werden in der Mitte Europas Frauen wie Vieh gehandelt. Sind sie der letzte »Rohstoff« der armen Länder Osteuropas?

In den vergangenen Jahren ist der . Frauenhandel zu einem der weltweit einträglichsten Geschäfte geworden. Die Profitraten sind enorm. Bordell- oder Sexclubbesitzer in Deutschland zahlen zwischen 3000 und 5000 DM für junge, neue Frauen aus dem Ostblock. Diese Summe sahnen die Händler ab; die Frauen erhalten nichts. Manchmal erhalten sie ausreichend Geld, manchmal auch nur Kost, Logis und ein wenig Taschengeld. Das ist mit einem Sklavendasein vergleichbar.

? Frauen aus Lateinamerika und Ostasien werden seit geraumer Zeit nach Westeuropa verkauft. Für Polen ist dieses Phänomen neu.

Seit 1990 haben vor allem Frauen ihre Arbeit verloren. Selbst Gutausgebildete finden keinen Job. Neue Möglichkeiten schafft die Öffnung zum Westen. Polnische Zeitungen sind voll mit Inseraten, in denen z. B. Au-pair-Mädchen oder Kellnerinnen für Deutschland oder England gesucht werden. Viele Angebote sind seriös. Aber manche sind versteckte Anwerbungen zur Prostitution.

? Woran erkennt man Lockangebote?

Ein Inserat, in dem nach »attraktiven jungen Frauen für Arbeiten als Fotomodell in den Niederlanden« gesucht wird, führt mit 99prozentiger Sicherheit direkt in die erzwungene Prostitution. Oder wenn eine junge, schöne Kellnerin für Deutschland gesucht wird, Sprachkenntnisse aber nicht erforderlich sind, steckt meist eine Agentur dahinter, die sich am Frauenhandel bereichert.

? Ist Polen Exporteur oder Transitland?

Sowohl als auch. Seit kurzer Zeit ist Polen sogar Zielland für Prostituierte geworden. Wir haben Informationen über Thai-Frauen, die nach Polen verschleppt wurden und in Warschau verschwunden sind. Dasselbe passiert mit Russinnen oder Litauerinnen.

? Heißt das, daß Polen mittlerweile auch ein Land für westeuropäische Sextouristen geworden ist?

Das beginnt gerade. Vor wenigen Wochen war ich in Gorzöw nahe der deutschen Grenze. In einem dortigen Hotel entdeckte ich, daß deutsche und hollän-

dische Männer diese Grenzhotels auch dafür benützen, um Knaben auf ihre Zimmer zu nehmen. Dabei handelt es sich um zehn- bis zwölfjährige Kinder.

? Wieviele Prostituierte aus Polen sind in Westeuropa tätig?

Wir schätzen, daß mehrere tausend polnische Frauen pro Jahr vor allem nach Deutschland und in die Benelux-Staaten zur sexuellen Ausbeutung gebracht werden. Auch in die Schweiz, nach Griechenland und nach Bulgarien gibt es Handel mit polnischen Frauen. Von Sofia, vermuten wir, geht es weiter in den arabischen Raum. Kürzlich haben wir einen Anruf aus Syrien erhalten, in dem uns eine Frau mitgeteilt hat, daß polnische Prostituierte in Damaskus unter unerträglichen Bedingungen leben.

? Werden Frauen mittels physischer Gewalt verschleppt?

Wir haben Informationen über zwei Fälle von brutalem Kidnapping mitten in Warschau. Alles spricht dafür, daß die beiden Frauen in Westeuropa in einem Sexclub Zwangsarbeiten. In der Regel trifft es jedoch Gelegenheitsprostituierte, die nach angeblichen Freieranrufen unter Gewaltanwendung verschwinden.

? Wer sind die Frauenhändler?

Meist polnische Männer mit deutschem Paß. Sie können problemlos pendeln. Es gibt mächtige, mafios tätige Gruppen und auch kleine Zwei-, Drei-Mann-Unternehmen.

? Wie hoch ist das Risiko für einen Frauenhändler?

Denkbar gering. Selbst wenn die Strafen für Frauenhandel hoch wären, was sie nicht sind, hätten Händler und Zuhälter wenig zu befürchten. Sie können die von ihnen abhängigen Frauen unter Druck setzen. Wenn doch mal eine Zwangsprostituierte vor Gericht geht, droht das Händlerkartell mit physischer Gewalt gegen sie oder gegen ihr Kind. Wenn sie das nicht einschüchtert, schrekken diese Männer auch vor Mord nicht zurück. Vor einem Jahr z. B. sind im Hamburger Hafen die zerstückelten Leichen von vier jungen Ukrainerinnen gefunden worden.

? Wie arbeitet Ihre Organisation »La Strada«?

Wir sind vier Frauen, die mit ein wenig öffentlicher Unterstützung in Warschau ein Büro eingerichtet haben. Zuerst geht es darum, anfällige Frauen zu warnen. Auch bauen wir gerade an internationalen Kontakten. Das größte Problem ist nämlich, daß verschleppte Frauen sich in einer Umgebung wiederfinden, die ihnen fremd ist, wo sie niemanden haben, zu dem sie gehen können. Wir errichten vorwiegend mit deutschen und holländischen 'Fraueninitiativen Hotlines, die möglichst breit bekannt gemacht werden sollen. Unsere Nummer in Warschau ist: 0048-1-628 99

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