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  • Politik
  • Gisela Karaus Porträt eines Schwulen

Pardon, lieber Gerd E.!

  • Eike Stedefeldt, Schlips
  • Lesedauer: 4 Min.

Im gewesenen Arbeiter- und Bauern-Staat erfuhr man als Arbeiter oder Bauer leider sehr wenig Privates über die Größen des deutsch-demokratischen Show-Biz. Sofern man nicht gerüchteweise pikanter Details aus dem Leben dieser Schlagertunte oder jener Rockröhre teilhaftig wurde oder einen kannte, der den Bekannten einer Bekannten kannte, blieb einem ersatzweise nur übrig, sich mittels zweifelhafter Direktimporte wie Neue Revue oder Goldenes Blatt mit den Schicksalen der Stars »von uns drüben« zu trösten. Das Bedürfnis indes, Kenntnis zu erlangen, wie dazumal »unsere Künstler« lebten oder in welch verruchten Kreisen die verkehrten, ist auch im Einheitsjahre sechs erst in Ansätzen gestillt.

Etwa der Schauspieler Gerd E. Schäfer. Dessen Intimsphäre hätte viele brennend interessiert. Daß diese tuckigste aller Plaudertaschen des DDR-Fernsehens stockschwul sein mußte, war auch für mich keine Frage. - Bis zum Erscheinen von Gisela Karaus Buch »Frank Schäfer: Alle meine Männer«. Besagter Frank Schäfer ist nämlich nicht nur Friseur, Visagist und Modedesigner, sondern überdies der Filius wessen? - Richtig, eben jenes (Pardon, lieber Gerd E.!) irrtümlich für schwul gehaltenen Mimen. Der ist ein braver Familienvater und mochte sich, wie alle braven Familienväter, mit Sohnematzens Mannesliebe zunächst gar nicht abfinden.

Aber es geht im Buche nicht um den Vater (der freilich hier und da auftaucht), sondern um den Sohn. Selbiger hat der Karau anhand seiner Männerbeziehungen eine doch außergewöhnliche DDR-Vita ins Mikrofon diktiert. Der 1959 Geborene spürte bereits als Kind jene beiden Neigungen, die sein Leben bis heute prägen: den Hang zum gleichen Geschlecht und den zur Maskerade, zur Travestie im urspünglichen Sinne. Den ersten Sex mit 'nem Kerl hatte er mit dreizehn, und Mutters Kleiderschrank lieferte den Stoff für seine pubertären Träume. Ein Coming out, den Punkt, an dem er sich und der Welt hätte sagen müssen »Seht her, so bin ich«, gab es bei ihm nicht. Schäfer wuchs einfach schwul auf. Und das in der DDR. Logisch, daß er nicht nur mit seinen erotischen Präferenzen, sondern

auch seiner ausufernden Phantasie, seinem extravaganten Geschmack und der zügellosen Spontaneität an die Grenzen des biederen realsozialistischen Muffs stieß. Fast zwangsläufig scheinen Schäfers zunehmender Trouble mit dem Staatsapparat, der in der Vergewaltigung durch einen Polizisten gipfelte, oder etwa das skurrile Bemühen der Verantwortlichen, das enfant terrible der DDR-Modeszene von Auftritten im Palast der Republik fernzuhalten. Seine »geordnete« Flucht in den Westen mag zwangsläufig erscheinen, war es aber nicht.

Karau hat mehr vorgelegt als ein Tonband-Protokoll. Der Leser lernt den Helden in seiner Widersprüchlichkeit kennen: den politisch absolut Naiven, den gefallsüchtigen Exhibitionisten, den hingebungsvollen Geliebten, das hinterhältige Aas, den charmanten Unterhalter, den schrillen Lebenskünstler, dem es dennoch keineswegs an Minderwertigkeitskomplexen gebricht. Daß Karau es bei Schäfers eigener Sprache beläßt, schärft diese Konturen. »Was mich an den Gesprächen mit Frank Schäfer faszinierte«, so die Autorin, »war seine Ehrlichkeit, sein Humor, die Fähigkeit zur Selbstironie. Und vor allem die Sensibilität, mit der er sich an seine zahlreichen Beziehungen erinnert... Er spricht fair und taktvoll über alle seine Männer, will keinem zu nahe treten, keinen verletzen.« Damit legt Karau den Finger auf eine wunde Stelle heutigen schwulen Selbstverständnisses: Es mangelt dieser »anderen Welt« in mancherlei Hinsicht an ethischem Empfinden.

Karaus Kunst bestand darin, ihren gewiß nicht intellektuellen Protagonisten geschickt zu führen, ihn - oberflächlich betrachtet - seine oft komplizierten Beziehungen schildern, gleichzeitig jedoch ein DDR-Sittengemälde entwerfen zu lassen. Oder doch zumindest einige Facetten davon. Es zu erkennen, bedarf es freilich einigen Hintergrundwissens über die Verhältnisse im zweiten deutschen Staate oder doch wenigstens eines tieferen Interesses daran. Nur dann kann man lesen und staunen. Insofern mag die Lektüre sogenannten Ossis leichter fallen, vorausgesetzt, sie haben sich die wertvolle Fähigkeit bewahrt, Wesentliches auch zwischen den Zeilen zu suchen.

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