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Jörg Haider im Siegesrausch

SPÖ am Boden und eine Zäsur der Parteienlandschaft Osterreich Von Hannes Hofbauer, Wien

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Nach den erdrutschartigen Verlusten der SPÖ am Wahlsonntag wurde gestern in Österreich über die Folgen spekuliert.

Selbst ein Führungswechsel in der Partei von Bundeskanzler Franz Vranitzky wurde nach dem Absturz der Sozialdemokraten nicht ausgeschlossen. Denn der Urnengang brachte eine politische Zäsur für das Land. Nachdem 5,8 Mio Stimmberechtigte erstmals direkt die EU-Abgeordneten für Brüssel sowie die Wiener Gemeinderats- und Landtagsvertreter gewählt haben, dürfen sich die Freiheitlichen des Rechtspopulisten Jörg Haider als große Sieger feiern lassen. Mit 29,2 Prozent erreichte die SPÖ in der Europawahl bundesweit neun Punkte weniger als bei den Nationalratswahlen im Vorjahr. Die ÖVP überholte den Koalitionspartner knapp; die eigentliche Sensation aber schaffte wieder einmal Hai-

ders FPO (27,6). Die Grünen erreichten knapp sieben, die Liberalen 4,2 Prozent und damit ein Mandat.

»Wien ist anders«, so der gängigste Werbespruch aus der Fremdenverkehrsbranche. Für die sonntäglichen Kommunalwahlen stimmte das aber nicht. Die Verluste der SPÖ - mit 39,1 Prozent 8,7 weniger als 1991 - sind auch hier dramatisch, Bürgermeister Michael Häupl verliert 10 seiner 52 Abgeordneten. 27,9 Prozent konnte dagegen der Statthalter Haiders in Wien erzielen und damit deutlich zulegen.

Auch wenn die Europa-Wahl eine Protestwahl war - seit dem Wochenende hat Österreich drei in etwa gleichstarke Parteien. Die Sozialdemokraten sind selbst in Wien zur »Mittelpartei« geschrumpft. In drei von neun Bundesländern - Salzburg, Tirol und Kärnten - wurden die Freiheitlichen zur stärksten Kraft; auch das eine Neuheit für die Alpenrepublik.

Am Desaster der SPÖ gibt es auch für Bundeskanzler Vranitzky nichts herumzuinterpretieren: »Wahlschlappe, kein Grund zum Feiern.« Frank Linser, Hai-

ders erster Mann in Brüssel, erklärt den Triumph seiner Partei mit dem »berechtigten Mißtrauen der Menschen gegenüber einer Regierung, die sie nach Strich und Faden betrogen hat.« Und Haider selbst gab sich staatsmännisch, fast nachdenklich: »Das Votum für die FPÖ ist ein Fingerzeig für die Regierung, das Belastungspaket zu überdenken« - nur,, es war das ständige Kopieren seiner national-liberalen Vorschläge, was den Sozialdemokraten das Rückgrat gebrochen hat. 750 000 Stimmen kostete die SPÖ der von der EU erzwungene Sparkurs. Grünen-Chef Christoph Chorherr forderte nun rasch radikale Reformen und schlägt als erste soziale Entlastung die sofortige Kürzung der Arbeitszeit auf 35 Wochenstunden vor. SPÖ-Bürgermeister Häupl kündigte eine Politisierung der sozialdemokratischen Partei an und radikale organisatorische Änderungen in ihrer verkrusteten Struktur. Ex-Minister Erwin Lanc, der vor wenigen Tagen ein Buch über »Die Krise der Sozialdemokratie« vorgestellt hat, fordert darin in ähnlicher Weise eine ideologische Linkswende.

Im Alltag gilt es vorerst, eine Wiener Landesregierung zustande zu bringen. Rot-schwarz als Koalition der Verlierer wäre ein schlechter Beginn für eine ideologischere SPÖ. Eine Ampelkoalition aus Rot, grün und liberal wiederum würde aus den kleinen Oppositionsparteien sozialdemokratische Anhängsel machen.

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