- Politik
- Zum Tode von Gerhard Holtz-Baumert, dem Vater des »Alfons Zitterbacke«
Einer, der Kinder bestärkt hat, Kind zu sein
Erst vor kurzem wieder haben Sprachwissenschaftler belegt, daß es Begriffe gibt, an denen sich Ostdeutsche in Gesprächen oder Diskussionen im größeren Kreis erkennen. Die meisten können auch mit den Namen Ole Bienkopp oder Robert Iswall ötwas anfangen und unbedingt mit Alfons Zitterbacke, war der es doch, der mehrere Generationen in ihrer Kindheit begleitete ein »Pechvogel von heute«, der Kinder bestärkte, Kind zu sein - mit Einfällen, Ängsten, Streichen und dem unbestechlichen Blick auf die Erwachsenen, die weder unfehlbar noch so vorbildlich waren, wie sie sich das einbildeten. Doch »Alfi« war da tolerant ... Kindliche und erwachsene Leser schmunzelten gemeinsam über die alltäglichen Mißgeschicke
und Mißverständnisse und erkannten sich wieder.
Der Erfinder von »Alfons Zitterbacke« starb am 17 Oktober, seine Bücher werden hoffentlich bleiben. Gerhard Holtz-Baumert war ein Berliner, der Kindheit und Jugend in-Berlin 0 17 erlebte, und das heißt: er war kein Kind reicher Leute. Eine Tante aus der Verwandtschaft galt in den Augen des Jungen als besonders wohlhabend, denn sie besaß einen Eierschneider.
Ich weiß das, weil ich Holtz-Baumerts autobiographisches Buch »Die pucklige Verwandtschaft. Aus Kindheit und Jugend in Berlin 017 und Umgebung« (Neues Leben Berlin, 1985) mit großem Spaß gelesen und eben gerade wieder darin geblättert und mich festgelesen habe. Es ist die Geschichte von einer Kindheit und Jugend zur Zeit des Faschismus, die Vorstellung von Vater und Mutter, vieler Tanten und Onkels und »Freundschaften« samt deren Lebensweise, und
auch der Versuch einer Erklärung, warum einer bei den Pimpfen mitmachte, dessen Vater konsequenter Gegner der Nazis war Es ist ein Buch, dessen Differenziertheit allen Klischees von den »kleinen« Leuten, aber auch vom alltäglichen Faschismus entgeht.
Gerhard Holtz-Baumert durfte wegen seiner guten schulischen Leistungen die »hohe« Schule besuchen, die er dann unterbrechen mußte, weil er als Siebzehnjähriger im Krieg gebraucht wurde. Als er heil zurückkam, war er seit seinem nachgeholten Abitur politischer Funktionär und Schreibender - in der FDJ und im Schriftstellerverband, als Chefredakteur der Kinderzeitschriften »ABC-Zeitung« und »Schulpost«, er war der Initiator und lange Zeit Chef der interessanten »Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur« und schrieb unter anderem »Trampen nach Norden« (1975) und »Erscheinen Pflicht« (1981) - eine Er-
zählung, deren Verfilmung wegen der kritischen Haltung Schwierigkeiten hatte. Gerhard Holtz-Baumert kritisierte darin Fehlverhalten, das ihn bei anderen Funktionären ärgerte. Ob solche Kritik tief genug griff und nicht nur die anderen betraf, wird in den letzten Jahren eine Frage gewesen sein, die er mit sich ausmachen mußte. Er - einer aus dem Berliner Osten - behielt zeit seines Lebens den unverwechselbaren schnoddrig pointierten Ton, aber auch die dünne Haut dessen, der nicht im Vorderhaus geboren ist.
Wie Gerhard Holtz-Baumert, den Literatur, Musik und Malerei nicht von klein auf begleiteten, diese für sich entdeckte, ist in der »Puckligen Verwandtschaft« nachzulesen. Enge Vertrautheit mit dieser Welt der Kunst bewies seine Kennerschaft »in Sachen« Goethe oder Fontane und schließlich auch sein letztes Buch: »BERLIN wie es im Buche steht«, soeben erschienen im Verlag Das Neue Berlin.
Gerhard Holtz-Baumert, 1927-1996 Foto: Archiv
Darin sucht er Berliner Schauplätze auf, die in die Literatur eingegangen sind. Entstanden ist der Band auf der Grundlage seiner gleichnamigen Serie für die Berlin-Beilage des »Neuen Deutschlands«, Nicht zuletzt auch wegen dieser literarischen Spaziergänge wird Gerhard Holtz-Baumert den Lesern dieser Zeitung fehlen.
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