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Roter Blätterschmuck, der viel Bitteres verbirgt

Das Kaffeeland Guatemala ist weltgrößter Exporteur von Weihnachtssternen Die sie pflegen, düngen, gießen, sind froh darüber, dass sie Arbeit haben Den Löwenanteil des Reichtums schöpfen jedoch andere ab

  • Andreas Boueke, Guatemala-Stadt
  • Lesedauer: ca. 7.0 Min.
Mitten in der grünen Berglandschaft des mittelamerikanischen Guatemalas glänzt ein großes Areal weißer Dächer aus Plastikplanen. Umgeben von Schluchten, Wäldern und verwilderten Kaffeeplantagen, produzieren ausländische Firmen in riesigen Gewächshäusern Pascuas - Weihnachtssterne. Guatemala ist der weltgrößte Exporteur der symbolträchtigen Pflanze. Jahr für Jahr werden über 300 Millionen Setzlinge ins Ausland verschifft.
In Guatemala selbst gehören die roten Hochblätter der Pflanze zur Adventszeit wie in Deutschland das Tannengrün. Das milde Klima und der fruchtbare Boden im Hochland bilden ideale Bedingungen für den Anbau. In San Miguel Dueñas, einem Ort in der traditionellen Kaffeeanbauregion, hat die Weihnachtssternproduktion binnen fünf Jahren rapide zugenommen. Seit der Weltmarktpreis für die braunen Bohnen ins Bodenlose gestürzt ist und mittelständische Kaffeeproduzenten häufig nicht einmal mehr ihre Produktionskosten decken können, sind viele Arbeitsplätze in der Landwirtschaft Guatemalas verloren gegangen. Die Gewächshäuser bilden eine wichtige neue Einkommensquelle.

Warum Frauen bevorzugt werden
In San Miguel Dueñas sind in der Vorweihnachtszeit rund 3000 Männer und Frauen mit den Weihnachtssternen beschäftigt. Sie sind froh über ihre Anstellung. Aber »in den Gewächshäusern werden Pestizide gespritzt«, berichtet eine Arbeiterin, »die Chemikalien sind giftig und reizen die Haut. Doch die Aufseher erlauben nicht, dass wir unseren Arbeitsplatz verlassen. Auch dann nicht, wenn die Pflanzen besprüht werden.«
Die meisten Arbeiterinnen haben Verträge, die nicht länger als zwei Monate gelten. So brauchen die Firmen keine Sozialabgaben zu zahlen. Wer keine Krankenversicherung hat, und das sind viele, versucht die Hautschmerzen mit Kräutern und Moosen zu lindern, andere gehen zum staatlichen Gesundheitszentrum. Dort weiß die Krankenschwester, dass sie sich zum Jahresende auf deutlich mehr Patienten einstellen muss. »Im November und Dezember kommen besonders viele junge Leute mit Atemwegproblemen und Hautkrankheiten. Vor allem Frauen aus den Gewächshäusern haben oft heftige Hautausschläge.«
In wohlgeordneten Reihen stehen die Pflanzen in den Hallen. Den roten Teppich von Weihnachtssternen durchziehen nur wenige schmale Kieswege, auf denen junge Frauen gebückt pflegen und schneiden, düngen und gießen. Die Blumenpflege ist einer der wenigen Zweige der guatemaltekischen Wirtschaft, in denen bevorzugt Frauen angestellt werden. Die Verwalter schätzen es, dass sie sich so gut wie nie organisieren. »In der Firma ist es verboten, einen Betriebsrat zu gründen«, sagt eine ältere Arbeiterin. Sie weiß nicht, dass ihr das guatemaltekische Gesetz dieses Recht einräumt. »Wir befolgen die Vorschriften der Firma. Gewerkschaften gelten als Problem, das vermieden werden muss.«
Auch auf der Paul Ecke Ranch, dem größten blumenproduzierenden Betrieb Guatemalas, gibt es keine Gewerkschaftsgruppe. Verwalter Ricardo Campus sagt: »So eine Organisation wird nur dort gebraucht, wo die Angestellten schlecht behandelt werden. Bei uns aber bekommen sie eine gute Ausbildung, wir organisieren Weihnachtsfeiern, und die Bezahlung ist besser als in anderen Betrieben der Umgebung. Unsere Arbeiter wissen, dass eine Gewerkschaft für sie Rückschritt bedeuten würde.«
Manuel Quino, Vorsitzender der Landarbeitergewerkschaft Fedecampo, wundert sich nicht über solche Aussagen: »In diesem Land haben die Großgrundbesitzer schon immer gesagt, Gewerkschaften seien nicht nötig. Sie wollen nicht, dass wir uns organisieren.«
Die Besitzer der Produktionshallen reagieren geradezu allergisch auf die Vorstellung, organisierte Arbeitnehmer könnten ihnen Probleme bereiten. Die wiederum finden sich meist mit ihrer Situation ab. »Uns bleibt nichts anderes übrig«, sagt ein junger Mann, der seinem Arbeitgeber dankbar ist, weil er bei der letzten Weihnachtstombola ein Fahrrad gewonnen hat. »Wir sind arm. Wir begnügen uns mit dem, was wir bekommen. Wir brauchen das Geld, damit unsere Familien genug zu essen haben.«

Geringe Investitionen, große Gewinne
Die Kirchen Guatemalas werden zur Weihnachtszeit besonders liebevoll mit Pascuas geschmückt. Carlos Maroquín, Priester in San Miguel Dueñas, freut sich an der roten Pracht vor seinem Altar. Er weiß aber auch: »Sie bringen den Leuten keine großen finanziellen Vorteile. Aber es reicht zumindest, um über die Runden zu kommen. Die Löhne der Arbeiter sind sehr niedrig im Vergleich zu den Summen, die die Firmenbesitzer verdienen.«
Die Investitionen für eine groß angelegte Produktion von Weihnachtssternen sind gering. Auf einigen Fincas stehen Dutzende großer Hallen, in denen die Pflanzen aufgezogen werden. Meist sind sie sehr einfach konstruiert: Ein drei Meter hohes Gestell aus Holzbalken wird überzogen mit strapazierfähigen transparenten Plastikplanen - fertig ist das Gewächshaus. In Guatemalas Hochland sind die Temperaturen mild und relativ konstant. Der Wasserbedarf der Pflanzen und die notwendige Luftfeuchtigkeit können durch ergiebige Brunnen leicht bedient werden, und fruchtbarer Humus kann in der nächsten Umgebung tonnenweise abgetragen werden. Diese Erde hat schon seit Generationen große Profite ermöglicht - sei es mit Kaffee, mit Gemüse oder mit Zierpflanzen. Für die meisten Bewohner der Dörfer fällt davon allerdings wenig ab.
Melchor Hernandez arbeitet für einen Blumenbetrieb. »Wir produzieren hier Setzlinge für den Export. Dabei macht der Exporteur ein großes Geschäft. Nach ein paar Jahren hinterlässt er eine verschmutzte Umwelt. Der Erdboden ist mit Pestiziden und Insektiziden verseucht. Uns bleibt weniger als zuvor. Den Reichtum schöpfen andere ab.«
Im Falle der Weihnachtssterne ist der ins Ausland transferierte Anteil der Wertschöpfung besonders hoch. Das hängt mit dem internationalen Patentrecht zusammen. Drei Viertel der Patente aller Weihnachtssternsorten auf dem Weltmarkt gehören einer einzigen US-amerikanischen Firma, der Paul Ecke Ranch. Paul Ecke jr., der Enkel des Firmengründers, ist einer der größten Blumenhersteller der Welt. Über die Hälfte seiner Produktionsfläche liegt in Guatemala. Das bringt einerseits Arbeitsplätze, aber Gewerkschaftsführer Manuel Quino schränkt ein: »Ecke will die gesamte Produktion der Pascuas kontrollieren. Er hat erreicht, dass es den kleinen Anbietern verboten ist, ihr Produkt zu exportieren. Das Patentrecht schützt nicht die Interessen der Kleinbauern, sondern immer nur die der Großen. Bei den Weihnachtssternen wird das besonders deutlich.«
Die 17-jährige Marta weiß nichts vom Patentrecht oder von ökonomischen Kalkulationen. Sie lebt in einer Hütte außerhalb von San Miguel Dueñas. An ihren Vater und den Geruch von Alkohol auf seiner Haut kann sie sich nur noch vage erinnern. Ihre Mutter ist krank. Sie hat drei Jahrzehnte lang auf Kaffeeplantagen gearbeitet. Schon mit acht Jahren musste sie Kaffeekirschen pflücken und schwere Säcke tragen. Heute leidet sie unter starken Rückenschmerzen. Sie ist noch eine junge Frau, aber ihr gekrümmter Gang und das Stöhnen bei jedem Schritt lassen einen verbrauchten Menschen ahnen.

Armutslöhne und Taschenkontrollen
Martas Familie besitzt nur zwei Betten, in denen das Mädchen mit ihrer Mutter und den vier Geschwistern schläft. Auf dem nackten Erdboden der Hütte stehen zwei Stühle und ein Tisch aus Holz. Die Wände sind aus den Stängeln von Maispflanzen zusammengebunden. Die Wellblechplatten für das Dach hat Marta vor kurzem von einem Monatslohn gekauft. Als einzige in der Familie hat sie ein festes Gehalt. Seit zehn Monaten arbeitet sie in einem Gewächshaus der Finca El Tempixque. Dort verdient sie den staatlich vorgeschriebenen Mindestlohn von 27 Quetzales (3 Euro) am Tag. »Das reicht nicht«, klagt das Mädchen. »Aber mehr bekomme ich nicht.«
Martas jüngere Geschwister verkaufen Kurzwaren auf dem Markt, putzen Schuhe oder helfen im Haushalt wohlhabenderer Familien. Nur Edwin, der Jüngste, geht zur Schule. Seine Unterrichtsmaterialien kann Marta nur bezahlen, weil sie viele Überstunden macht: »Wenn wir schon um fünf Uhr morgens beginnen dürfen, werden uns zwei Stunden extra bezahlt. Manchmal gehen wir abends erst um sechs oder sieben Uhr nach Hause. Bei vier Überstunden verdienen wir ganz ordentlich.«
Gegen sechs Uhr abends, wenn die Tore der riesigen Hallen geöffnet werden, müssen sich Arbeiterinnen und Arbeiter in eine lange Schlange stellen. Bevor sie nach Hause gehen, überprüft ein Wärter den Inhalt ihrer Taschen. Das haben sich die Verwalter von den Weltmarktfabriken der Textilindustrie abgeschaut. Auch dort werden die Angestellten grundsätzlich wie potenzielle Diebe von Werkzeug und Arbeitsmaterial behandelt.
Priester Carlos Maroquín kennt die Arbeits- und Lebensbedingungen seiner Gemeindemitglieder: »Die roten Weihnachtssterne sind ein Schmuck, in dem viel Leid verborgen ist. Wenn man genau hinschaut, kann man den Schmerz der Jungen und Mädchen sehen, die auf den Fincas arbeiten.«

Sternenlegende
In Mexiko, dem Herkunftsland der Pascuas, erzählt man sich bis heute folgende Geschichte über den Ursprung der Pflanze:
In einem mexikanischen Bergdorf kamen die Gläubigen jedes Jahr zu Weihnachten mit Geschenken in ihre Kirche, um das Jesuskind zu erfreuen. Manche brachten Brot und süßes Gebäck, andere große Körbe voller edler Früchte und Maiskolben, einige gaben Schmuck und goldverzierte Schatullen - jeder eben nach seinem Vermögen.
Eines Tages trat ein Junge vor den Altar und weinte. »Diosito mio, lieber Gott«, betete er. »Tagelang habe ich gearbeitet und meinen Lohn gespart. Ich wollte deinem Sohn ein Geschenk bringen. Aber dann wurde meine Mama krank und ich musste sie pflegen. Nun habe ich nichts mehr, womit ich dem Jesuskind eine Freude machen könnte.« Dicke Tränen rollten über seine Wangen. Wo sie auf den Boden fielen, wuchs die schönste Pflanze, die man je gesehen hatte: Ein roter Stern, der fortan...

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