Entschärfter Konflikt

Von Mohssen Massarrat

  • Lesedauer: 3 Min.
Der 1942 in Teheran geborene Friedensforscher und Sozialwissenschaftler lehrt an der Universität Osnabrück.
Der Konflikt um Irans Atomanlagen wurde in den Gesprächen mit der Wiener Atomenergiebehörde in dieser Woche vorerst entschärft, keineswegs aber gelöst. Die iranische Regierung erklärte sich lediglich bereit, ihr eigenes Atomprogramm nur auszusetzen bis die mit der EU ausgehandelte Absichtserklärung vertraglich geregelt ist. Dabei hat die EU offenbar eine Reihe iranischer Forderungen akzeptiert, darunter Hilfe für die nukleare Stromproduktion, Beitritt Irans in die WTO und vor allem europäische Unterstützung für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Mittleren und Nahen Osten. Der letzte Punkt - sollten entsprechende Berichte zutreffen - klingt sensationell und ist es auch, und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens mogelt sich der Iran nicht mehr um den eigentlichen Konfliktkern herum Er gesteht offen und regierungsamtlich, dass sein Atomprogramm nicht nur der Stromproduktion diene, sondern - angesichts Israels atomarer Vormachtstellung - auch der militärischen Sicherheit. Zweitens geht der Iran mit dieser Forderung in eine Offensive und muss das eigene sicherheitspolitische Anliegen nicht mehr hinter dem Atomstrom verstecken. Bis dato steckten beide Seiten - der Iran und die EU - den Kopf in den Sand und taten so, als ginge es bei dem Konflikt nicht um ein sicherheitspoltiisches Dilemma. Der Westen, die EU eingeschlossen, gab vor, einen regionalen Rüstungswettlauf verhindern zu wollen. Und die iranische Seite beteuerte unentwegt, das ehrgeizige Atomprogramm diene ausschließlich der Deckung des zukünftigem Strombedarfs. Beide Seiten haben so die Weltöffentlichkeit über die Hintergründe einer gefährlichen Eskalation getäuscht. Israel fühlte sich mit seiner winzigen Bevölkerung inmitten von über 200 Millionen Arabern und Muslimen schon immer bedroht und beschloss, dem demographischen Ungleichgewicht gemäß der herrschenden Lehre der Balance of Power eigene Atomwaffen entgegenzusetzen. Dadurch setzte es - gewollt oder ungewollt - eine Eskalation des nuklearen Wettrüstens in der Region überhaupt erst in Gang. Alle Regionalstaaten, die etwas von sich hielten, zunächst Ägypten, dann der Irak und jetzt der Iran, wurden zur Aufrüstung regelrecht getrieben. Irans Machthaber wollen Atomwaffen, um - ebenfalls gemäß der Balance of Power - das »Gleichgewicht des Schreckens« herzustellen. Sie handeln damit ganz und gar »westlich rational«. Die EU, allen voran die deutsche Seite, nahm das Sicherheitsbedürfnis Irans nicht ernst und setzte Iran - ganz im Sinne von USA und Israel - unter Druck, auf Atomwaffen zu verzichten. Es ist nicht zu fassen: Politiker von internationalem Rang benehmen sich wie schlechte Pädagogen, die Drohung von Außenminister Fischer, Iran sollte sich vor einer »Fehleinschätzung der Reaktionen der internationalen Gemeinschaft hüten«, lief ins Leere. Die deutsche und die EU-Außenpolitik muss zur Kenntnis nehmen, dass eine Suspendierung der Urananreicherung durch den Iran keine dauerhafte Antwort auf die atomare Vormachtstellung Israels im Mittleren und Nahen Osten ist. Der einzig denkbare Weg für eine dauerhaft stabile Beziehung ist die Schaffung einer regionalen massenvernichtungswaffenfreien Zone. Dieses Ziel muss sofort auf die Agenda internationaler Diplomatie gesetzt werden, die EU hätte damit eine hervorragende Gelegenheit, zu einer eigenen, vom US-Unilateralismus unabhängigen Mittel- und Nahostpoltitk zu finden, die nicht nur die Multilateralisten in den USA stärkt, sondern auch die Reform- und Friedenskräfte im Iran, in den übrigen Staaten der Region, nicht zuletzt auch in Israel.
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