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Auch der DLV prahlt nicht mit ihr
Die erfolgreichste deutsche Leichtathletin aller Zeiten scheint vergessen zu sein Von Karl-Wilhelm Götte
Montreal, 28. Juli 1976 - olympisches Finale über 200 m der Frauen: Wieder richteten sich alle Blikke auf das deutsch-deutsche Duell Annegret Richter auf Bahn fünf gegen Renate Stecher auf Bahn acht. Drei Tage zuvor über 100 m triumphierte die Dortmunderin Richter sensationell gegen die Favoritin aus Jena. Doch diesmal gewann keine von beiden. Denn ausgangs der Kurve schob sich Renate Stechers Klubkameradin Bärbel Eckert auf Bahn zwei nach vorne und hielt ihren knappen Vorsprung von zwei Hundertstelsekunden vor Richter bis ins Ziel. Renate Stecher, die Doppel-Olympiasiegerin von 1972, wurde nur Dritte.
»Renate war damals sehr enttäuscht. Nach der Siegerehrung gingen wir schweigend mit 20 Meter Abstand aus dem Stadion ins Olympische Dorf. Sie wollte an diesem Tag nicht mehr mit mir reden«, erinnert sich Bärbel Eckert-Wökkel noch ganz genau. Erst drei Tage später, als man zusammen die 4 x 100-m-Staffel gewann, löste sich die Spannung in Freude auf. Für Bärbel Wöckel, die im Herbst 1975 zur Sprinterinnengarde von Trainer Horst-Dieter Hille zum SC Motor Jena wechselte, begann spätestens in Montreal vor 20 Jahren eine sportliche Bilderbuchkarriere, die sie letztendlich zur erfolgreichsten deutschen Leichtathletin aller Zeiten werden lassen sollte.
Denn die gebürtige Leipzigerin, Absolventin der dortigen Kinder- und Jugendsportschule, wiederholte vier Jahre später in Moskau ihr Gold-Doppel von Montreal. »Nach verletzungsbedingten Rückschlägen 1978/79 bin ich nicht mit ins Höhentrainingslager nach Mexiko gefahren und habe mich mit dem Ehemann von Renate Stecher allein in Jena vorbereitet«, erzählt sie. 1981 wurde sie dreifache Europacupsiegerin, ein Jahr später zweifache Europameisterin über 200 m und in der 4 x 100-m-Staffel sowie Zweite über 100 m hinter Marlies Göhr Für 1984 in Los Angeles war der krö-
nende Abschluß ihrer Laufbahn geplant. Im Juni des Olympiajahres lief die damals 29jährige die 200 m mit 21,85 s erstmals unter 22 s. Da die Weltrekordlerin Marita Koch (21,71) damals für einen Start über 400 m vorgesehen war, standen die Chancen für Bärbel Wöckel auf fünftes und sechstes Gold sehr gut. »Wir saßen auf gepackten Koffern, dann kam der Boykott der UdSSR und zwangsläufig auch der der DDR«, berichtet sie noch immer mit leicht wehmütigem Unterton.
Bärbel Wöckel stand in der DDR immer im Schatten von Renate Stecher, Marlies Göhr und Marita Koch. Das Medieninteresse an ihr war verhältnismäßig gering. »Ich kann mich nicht erinnern, daß ich zu DDR-Zeiten jemals Gast im Fernsehstudio war«, sagt die jetzt 41jährige Mutter zweier Mädchen im Alter von acht und zehn Jahren und ausgebildete Lehrerin ohne jede Verbitterung.
Viel gegeben haben ihr die Besuche in den DDR-Schulen, gern erinnert sie sich
der strahlenden Kinderaugen. »Ich habe das wie andere auch natürlich ohne Honorar gemacht. Die Kinder haben mit Geld aus der Klassenkasse Blumen gekauft.« Fest eingeprägt habe sich auch die ideelle und materielle Anerkennung ihrer sportlichen Erfolge. Die Empfänge im »Palast der Republik« nach den Olympischen Spielen 1976 und 1980, Ehrentanz mit dem Staats- und Parteichef, staatliche Auszeichnungen und die großzügige Unterstützung beim Hausbau 1983. »Ein Privileg meiner Leistung«, sieht sie es rückblickend.
Das Haus in Jena haben die Wöckels Anfang 1990 »viel zu billig verkauft« und sind in den Odenwald in das Dorf Lützelbach gezogen. »Als Lehrerin konnte ich in Hessen nicht arbeiten, weil mein DDR-Studium nicht anerkannt wurde«, erklärt sie und nahm das Angebot des Deutschen Leichtathletik-Verbandes in Darmstadt an, in der dortigen Geschäftsstelle als Sachbearbeiterin im Jugendreferat zu arbeiten. Ihr Mann Klaus-Dieter machte sich als Schlossermeister selbständig, muß jedoch in den nächsten Wochen der mangelnden Zahlungsmoral zweifelhafter Bauherren Tribut zollen und seinen Betrieb wieder schließen.
Natürlich würde sie sich eine größere Akzeptanz durch die deutsche Sportwelt wünschen. Auch der DLV, bei dem sie zusätzlich noch Betriebsrätin ist, prahlt nicht unbedingt mit dem ehemaligen Sportstar Gerade zweimal war Bärbel Wöckel bei nationalen Meisterschaften zu Siegerehren eingeladen. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe kommt beim »Ball des Sports« offenbar ebenfalls ohne die historische Nummer 1 der deutschen Leichtathletik aus.
Zwangsläufig orientiert sich Bärbel Wöckel auf ihre innere Zufriedenheit. Das klappt ganz gut. Wenn ihre Kinder das Video mit ihren Goldläufen anschauen, genießt sie diese unauslöschbaren Höhepunkte ihres Lebens. »Im großen und ganzen bin ich glücklich, wie alles gekommen ist«, bekennt sie aufrichtig. Niederlagen im Sport haben sie »nie niedergeschmettert«, warum sollten es Rückschläge im Leben tun?
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