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  • Politik
  • Beuys-Skulptur im »Museum für Gegenwart« in Berlin

Weiche Wucht

  • Marion Pietrzok ?
  • Lesedauer: 2 Min.

Der erste Blick. Eisblöcke. Wieso schmelzen sie nicht? Der zweite Blick. Das ungesund bläßliche, weiß-gelbliche Material der sechs kantigen Brocken lebt. Mit seinen Narben, Flecken, Poren. Die klotzige Wucht von Fett, Stearin und Paraffin ist zugleich etwas Zartes, Zerbrechliches, Warmes. »Joseph Beuys hat eine Skulptur gemacht, die nicht kalt wird«, so lautete der Schriftzug in einer Vitrine in der Ausstellung »Skulptur« in Münster 1977 Für diese Kunstpräsentation hatte der damals 56jährige das Werk geschaffen, das aus der Nachbildung einer Betonrampe entstand: »Tallow / Unschlitt« als Warnung vor der Zubetonierung des Menschlichen in den Städten. Aber die 21 Tonnen flüssiger Talg-AVachsmasse waren nicht rechtzeitig abgekühlt, nicht ausgehärtet. Erst später konnte »Tallow / Unschlitt« ursprünglich ein drei Meter hoher und zehn Meter langer Keil, der mit einem heißen elektrischen Draht in die Segmente zerlegt wurde - im Westfälischen Landesmuseum in Münster aufgestellt werden. Bald ging die Reise weiter- nach

New York* ins Guggenheim-Museum, 1982 niach Berlin in die Neue Nationalgalerie und schließlich für 13 Jahre ins Städtischen Museum Abteiberg in Mönchengladbach. Jetzt ist, nach spektakulärer Weigerung der Mönchengladbacher und noch spektakulärerem Transport, die ungewöhnliche Plastik für immer in Berlin.

Seit Freitag ist die »vielleicht radikalste, kompromißloseste, wagemutigste Skulptur« des Künstlers, so Heiner Bastian, damals Assistent von Beuys und Kurator der Sammlung Erich Marx, im Erdgeschoß des Hamburger Bahnhofs zu besichtigen. Dieses Museum, vor knapp zwei Monaten eröffnet als Heimstatt der Sammlung Marx, hütet nun im Westflügel mit seinen kalkweißen Wänden und seinem kalten Neonlicht, im »schönsten Beuys-Raum Deutschlands«, ein ?Gesamtkunstwerk, neben »Unschlitt / Tallow« die mehrteiligen Werke »Das Ende des 20. Jahrhunderts«, »Straßenbahnhaltestelle« und »Richtkräfte«. Zusammen mit den Zeichnungen des »Secret Block für a Secret Person in Ireland« und dem Medienarchiv im Obergeschoß bildet es laut Bastian das »lebendigste Zentrum von Beuys, das es überhaupt gibt«.

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