Der Maler mit dem Judenstern

Felix Nussbaum - ein bedeutender Künstler des 20. Jahrhunderts

  • Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Es war der 11. Dezember 1904, als der zweite Sohn des jüdischen Eisenwarenhändlers Philipp Nussbaum zur Welt kam, Felix, der Maler wurde. Der Himmel leuchtete möglicherweise nicht so lichtblau, wie es dann auf seinem berühmten Gemälde »Der tolle Platz« zu sehen sein würde. Immerhin es war Dezember! Aber so dunkel und schwer wiederum wie die Gründe seiner späteren Werke wird der Himmel nicht gewesen sein. Im Geburtsjahr des Malers ließ sich Picasso endgültig auf dem Montmartre nieder und malte seine melancholischen, blauen Bilder. Max Liebermann kam in Berlin zu Ehren und Gustav Mahler komponiert die »Kindertotenlieder« - die bürgerliche Welt, in die auch Felix Nussbaum hineingeboren wurde, war produktiv und reagierte auf den beschleunigten Gang der Geschichte individuell verschieden. Doch der Aufbruch in die Moderne ist längst vollzogen.
Ein Jahr später gibt es Grund genug, den Atem anzuhalten. Von Russland her hallt die bürgerliche Revolution. Die Spannungen nehmen auch in Europa zu - als »Vorabendstimmung« wird das Lebensgefühl bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges beschrieben. In dieser Zeit, die Juden sind so assimiliert wie nie zuvor, besucht Felix Nussbaum die jüdische Schule in Osnabrück. Sein Vater ist Hobbymaler. Das Leben hat für den jungen Nussbaum noch den Charme der Bohème. Als er 1922 ohne Abitur vorfristig das Realgymnasium verlässt, hatte sich die Welt bereits einmal auf den Kopf gestellt.
Felix Nussbaum will Maler werden. Er fühlt es als Berufung, geht nach Hamburg, ein Jahr später nach Berlin und landet also in der kunstfiebrigen Hauptstadt der Weimarer Republik. Hier findet proletarisches Selbstbewusstsein zunehmend künstlerische Gestalt, die Ideen der Avantgarde waren schon vor zehn Jahren angekommen. Russen mischen die Kunstszene auf, das geistige, jüdische Leben ist vital. Man konnte das Bedrohliche des Kapp-Putsches noch verdrängen. Aber Nussbaum blickt klar, analytisch auf seine Umgebung und malt realistische und allegorische Bilder im Stil der Neuen Sachlichkeit. Ganz im Kontext des Berliner Kunstmilieus orientiert er sich an Dix und Meidner, an Max Beckmann, Carl Hofer. Nicht zuletzt auch an Max Liebermann. Mehr als Picasso wird ihm der naive Franzose Henri Rousseau zum Vorbild. In Berlin, gerade 23-jährig, beginnt seine Malerkarriere mit etlichen Ausstellungen. Porträt mit Maske und Selbstporträt mit freiem Oberkörper, Familien- und Gruppenbilder, Stadt- und Landschaftsansichten in eigenwillig-fantastischer Stimmung wie »Erinnerung an Norderney« bestimmten sein uvre.
Anlässlich seines 100. Geburtstages wird Felix Nussbaum insbesondere in seiner Geburtsstadt Osnabrück, die ihm eine Sonderausstellung einrichtete, und andernorts über das Exemplarische seiner Zeitzeugenschaft hinaus als ein bedeutender Künstler der Moderne gewürdigt. Das Schicksal des jüdischen Malers - 1944 wurden er und seine Frau Felka Platek in Auschwitz umgebracht - gaben seinen Werken eine historisch biografische Dimension. Seine Kunst galt vor allem als Dokument einer »vernichteten jüdischen Kultur«, wie auch Daniel Libeskind schrieb, der in Osnabrück 1998 das Felix-Nussbaum-Haus als »Museum ohne Ausgang« baute. Rund 40 Schlüsselwerke Nussbaums und etwa 130 Arbeiten anderer Künstler wie Picasso, Chagall, Beckmann, Ensor, Liebermann, Grosz, darunter Leihgaben aus aller Welt, sind ausgestellt, um ihn als eine der großen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, nicht allein als Opfer und »Holocaustmaler«, sondern als Künstler mit vielgestaltigem uvre im Kontext einer widerspruchsreichen Kunstentwicklung zu zeigen. Die Berlinische Galerie beteiligt sich mit dem Gemälde »Der tolle Platz«. Es stellt die Rebellion der jungen Künstlergeneration - Nussbaum mittendrin - gegen die vergreiste Akademie auf dem Pariser Platz in einer fast comicartigen Komposition dar. Ein mediterraner Himmel überstrahlt das Geschehen. Das 1931 entstandene Hauptwerk verhalf dem jungen Künstler zu einem Studienaufenthalt in der römischen Villa Massimo. Von dort allerdings - es ist schon das Jahr 1933 - gibt es keine Rückreise mehr nach Berlin. Dort ging bereits sein Atelier in Flammen auf.
Es begann die Zeit der Emigration, Flucht, Verhaftung mit Stationen in Italien und Belgien, die der Künstler selbst vielfach und eindringlich zum Gegenstand seiner Kunst gemacht hat. Mahnend, besorgt, voraussehend und wissend schaut Felix Nussbaum aus seinen Selbstporträts, die ihm Möglichkeit des Dialogs bedeuteten, bei denen er Blickkontakt zum Betrachter herstellt. 1942 malt er das klassisch komponierte, allegorische »Selbstbildnis mit Totenhemd«, ganz in Korrespondenz zu Carl Hofers Gemälde »Die Gefangenen« (1933). Ein Jahr später präsentiert er sich selbstbewusst mit entblößter Brust vor der Staffelei, mit skeptisch-forschendem Blick, wie man ihn von Max Liebermann her kennt. Im gleichen Jahr noch, 1943, entsteht das bekannte Werk: »Selbst mit Judenpass«. Er malt die bedrängte, unheilvollem Schicksal ausgelieferte Familie und schließlich 1944, noch nicht ganz vierzigjährig, sein letztes Gemälde »Triumph des Todes«.

Felix-Nussbaum-Haus, Lotter Str. 2, 49078 Osnabrück: Zeit im Blick. Felix Nussbaum und die Moderne. Bis 28.3. 2005, Di-Fr 11-18, Sa, So 10-18Uhr. www.zeit-im-blick.de

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