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Politischer Informationsbericht über Sloterdijk

Philosoph Peter Sloterdijk sprach beim Kölner Festival »Phil.Cologne« mit Philosoph Cai Werntgen über Erziehung im digitalen Zeitalter

  • Marlon Grohn
  • Lesedauer: 4 Min.
Will mehr bilden und weniger gärtnern: »Genosse Sloterdijk« auf der »Phil.Cologne«.
Will mehr bilden und weniger gärtnern: »Genosse Sloterdijk« auf der »Phil.Cologne«.

Verehrter Genosse XY,

betreffs der Frage, ob der Genosse Sloterdijk ein sicherer Kommunist sei, wie es etwa der Genosse Žižek von sich behauptet (»Im Herzen ein Kommunist«), komme ich nach dem Besuch der Kölner Veranstaltung »Garten oder Maschinenraum des Menschlichen? – Die Zukunft der Erziehung im digitalen Zeitalter«, die im Rahmen der »Phil.Cologne« stattfand, zu folgenden Feststellungen:

1. An der tadellosen marxistischen Gesinnung des Gen. Sloterdijk bestehen derzeit keine Zweifel. Der Propaganda des Klassenfeindes, ihn als einen der ihren zu präsentieren, widerspreche ich entschieden. Natürlich hat der Gen. Sloterdijk immer wieder einige Nebelbomben geworfen, indem er den Sozialismus kritisierte (aber wer von uns täte das nicht ab und an?) und die FDP lobte. Auch seine Ablehnung der Französischen Revolution und des Werkes des Gen. Georg Lukács darf getrost als Versuch gerechtfertigt werden, auch beim Klassenfeind Achtung zu erlangen.

2. Bei der betreffenden Veranstaltung am vergangenen Freitag in den »Balloni«-Hallen in Köln-Ehrenfeld zählte ich bereits in den ersten zehn Minuten vier Marx-Zitate, es kamen weitere dazu. Heidegger wurde seltener zitiert, Augustinus noch seltener. Carl Schmitt und Ernst Jünger hingegen überhaupt nicht.

3. Auf Cai Werntgens Frage auf dem Podium, ob die Rettung der Demokratie nicht mehr möglich sei, antwortete Gen. Sloterdijk, dass die Bewohner der westlichen Staaten alle längst »putinisiert« seien. Der westliche Mensch werde »zum autokratischen Charakter, nicht nur im Kreml«, und wolle sich nichts mehr sagen lassen (siehe die Proteste gegen die Anti-Corona-Maßnahmen). Vielmehr kommunizierten alle diese kleinen Alltags-Autokraten nur noch »von Kreml zu Kreml oder von SUV zu SUV«. Dagegen bedeute, so Sloterdijk, Menschlichkeit seit je Durchlässigkeit – ein Leben außerhalb der Festung müsse wieder erlernt werden. Dabei spiele »die Figur des Lehrers« (mit dem er natürlich Gen. Lenin meinte) eine bedeutende Rolle: In Zeiten, wo dieser nicht mehr wisse, »wie hart er zupacken« dürfe, verschwinde das Bilden zugunsten bloßen Gärtnerns.

4. Es folgte ein Plädoyer für den Kollektivismus: Wir Menschen seien in Wahrheit »keine Bürger oder Individuen«, sondern bedürften des anderen und seien deshalb »eigentlich Magneten«, die ständig Attraktoren aussenden. Wir wollten eins werden mit unserer zweiten platonischen Kugelhälfte und würden ständig merken, dass Individualität quasi unmöglich ist. Die Frage sei, so Sloterdijk, wie wir uns selbst gefallen können, ohne selbstgefällig oder narzisstisch zu werden.

5. Der Kommunismus, so viel Beinfreiheit müssen wir einem solchen chamäleonhaften Genossen von Weltgeltung gewähren, heißt bei Sloterdijk »Ko-Immunismus«. Seine ideologische Festigkeit zeigt sich besonders hinsichtlich des sozialistischen Arbeitsprodukts. Er setzte sich immer wieder für ein starkes Proletariat ein (»Wider die Verteufelung der Leistungsträger«) und unterstützt das Neue Ökonomische System des Gen. Ulbricht (»Wenn der Leistungsgedanke verloren geht, ist das auch ein Zeichen von Dekadenz«).

6. Für Sloterdijk bleibt dem Denker im Angesicht der digitalen Katastrophe nurmehr die Flucht in die – auch zeitliche – Großräumigkeit. Im Blick auf die Jahrhunderte sei der Aufstieg Chinas zu einer digitalen Weltmacht nur die Revanche für die gegen China gerichteten Opium-Kriege des europäischen Imperialismus im 19. Jahrhundert. Damals wurde jeder zehnte Chinese zum Opium-Abhängigen gemacht, heute würden die Chinesen uns handysüchtig machen. In Sachen Antiimperialismus und eines entspannten Verhältnisses zu China ist Sloterdijk also ein sicherer Mann.

7. Leider wurde von beiden Gesprächspartnern der Begriff des Digitalen, wie heute üblich, zu einseitig gefasst: »Die Seele als bewohnbare Größe« (Sloterdijk) ist etwa auf Social Media eine andere als bei einem Ballerspiel am Computer. Nicht alles, was mit einem Bildschirm zu tun hat, kann aufs Stichwort »digital« heruntergebracht werden. Trotzdem hat der Gen. selbstverständlich recht damit, dass er im Digitalen keine Wohnmöglichkeit für den allseits entwickelten, unentfremdeten sozialistischen Menschen erblickt. Das »Denken im großen Raum« ist eben ein anderes als das Denken in den kleinen Cyber-Räumen.

8. Fazit: Ich rate davon ab, es dem Gen. Sloterdijk von unserer Seite allzu schwer zu machen. Er diskutierte größtenteils ohne Plattitüden und vermied Gemeinplätze. Sein Marx-Kenntnisstand liegt über dem Niveau eines durchschnittlichen Mitglieds der Partei Die Linke. Ich schlage vor, den Gen. Sloterdijk von der Liste der Verdächtigen endgültig zu streichen und ihm für seine sozialistischen Verdienste einen angemessenen Preis zu verleihen, etwa die Goldene DDR-Banane für außergewöhnliche Leistungsträger.

Mit sozialistischen Grüßen und Rotfront,

M. G.

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