»Ecstasy« und der Verlust der Harmonie
Das Öffnen aller Schleusen an Nervenendigungen führt zu deren Untergang
Von Siegfried Neumann
Ob und wieviele Tote auf das Konto der Partydroge Ecstasy gehen, darüber wird schon seit einigen Jahren gestritten. Der Streit zwischen besorgten Eltern, konservativen Politikern, engagierten Sozialarbeitern und den wenigen damit beschäftigten Wissenschaftlern ist bislang unentschieden. Er geht angesichts von Zahlen zwischen zwei und 17 wohl auch am Problem vorbei. Alkohol und Autos haben da mehr Tote auf dem Konto.
Nach Angaben von Prof. Dr Gerald Huether vom Neurobiologischen Labor der Psychiatrischen Klinik an der Uni Göttingen hat im letzten Jahr etwa eine halbe Million Jugendlicher eigene Erfahrungen mit Ecstasy und ähnlichen von den aufputschenden Amphetaminen abgeleiteten Drogen gemacht. In Großbritannien würden sieben Millionen Tabletten pro Jahr verkauft. Weder die gelegentlich tödlichen Konsequenzen - wie alle Tabletten hat auch Ecstasy »Nebenwirkungen« -, noch Verbote haben bislang diesen Wachstumsmarkt beeinträchtigt.
Für den Neurobiologen Huether besteht das Problem auch weniger in den spektakulären Todesfällen, als vielmehr in den schleichenden Veränderungen, die
mit der regelmäßigen Einnahme der sogenannten substituierten Amphetamine MDMA (= ecstasy, XT, E adam), MDE (= eve) und verwandten Designerdrogen einhergehen. Denn alle diese Stoffe führen - so Huether - bei hoher Dosierung zum Absterben bestimmter Nervenendigungen im Gehirn, der sogenannten serotonergen Nervenendigungen.
Aus Tierversuchen ist dieses Phänomen bereits seit langem bekannt, nun ist auf Grund von Untersuchungen in Prof. Huethers Göttinger Labor auch die Schädigung beim Menschen abzuschätzen (Journal of Neural Transmission, Dezemberheft 1996). Prof. Huether und seine Mitarbeiter konnten zeigen, daß das Ausmaß der im Gehirn stattfindenden Zerstörung serotonerger Nervenendigungen von der Intensität der körperlichen Begleitreaktionen abhängt, die während der ersten Stunden nach der Einnahme dieser Drogen auftreten. Diese Reaktionen sind gut bekannt: Anstieg der Körpertemperatur bis hin zu hohem Fieber, beschleunigte Atmung, Atemnot, Kreislaufprobleme, Austrocknung und Hyperaktivität (bis zur körperlichen Erschöpfung gesteigerter Bewegungsdrang). Bleiben diese Symptome aus, so beträgt die Schädigung weniger als 10 Prozent. Werden diese Reaktionen sehr stark oder gar lebensbedrohlich, steigt der Anteil abgestorbener serotonerger Nervenendigungen in der Hirn-
rinde auf 90 Prozent. Verantwortlich hierfür ist der Umstand, daß alle substituierten Amphetamine in die serotonergen Nervenendigungen aufgenommen werden und die Ausschüttung der dort gespeicherten Überträgersubstanz Serotonin bewirken.
Die Nervenendigungen versuchen anschließend unter großem Energieverbrauch, das Serotonin wieder zurückzupumpen und geraten so in eine Energiekrise. Da aber die Drogen bzw das von ihnen freigesetzte Serotonin gleichzeitig die ohnehin schon problematische Energieversorgung im Gehirn weiter verschlechtern, klappt das nicht. Gleichzeitig ist auch der Anstieg der Körpertemperatur nur unter großem Energieverbrauch zu drosseln, insbesondere, wenn die Jugendlichen - oft bedingt durch die Verhältnisse in den Diskotheken - zu wenig Flüssigkeit zu sich nehmen.
Die durch die Drogen ausgelöste z. T extreme körperliche Aktivität beim Tanzen verstärkt diese Aufheizung und ver-' geudet die letzten noch vorhandenen Energiereserven. So können immer weniger Ausgangsstoffe für die Energiegewinnung im Gehirn bereitgestellt werden und die serotonergen Nervenendigungen sind über kurz oder lang nicht mehr in der Lage, die für die Erhaltung ihrer Funktion erforderlichen Energieträger herzustellen. Sie degenerieren nicht deshalb, weil sie durch die Droge vergiftet
werden, sondern weil sie aufgrund der durch die Droge im ganzen Körper ausgelösten Energieverschwendung regelrecht verhungern.
Die fatale Folge dieses Mechanismus ist, so Prof. Huether, daß der einzelne Konsument seine »sichere« Dosierung kaum abschätzen kann. Hinzu kommt noch, daß die aktuelle Verfassung des einzelnen (sein Gesundheitszustand, seine Ernährungslage etc.) sowie die jeweils herrschenden äußeren Bedingungen (die Raumtemperatur, die Flüssigkeitszufuhr, die Musik als Stimulator für körperliche Anstrengung etc.) bei ein und derselben Dosierung zu unterschiedlich starken Reaktionen des ganzen Körpers und damit neurotoxischen Wirkungen führen können.
Ob diese Einsicht bei Jugendlichen Wirkung hat, hängt freilich auch davon ab, ob sie verstehen, wozu die serotonergen Nervenendigungen überhaupt gut sind. Störungen der Aktivität des serotonergen Systems spielen bei vielen psychischen Erkrankungen eine besondere Rolle. Sie gehören zu einer relativ kleinen Gruppe von Nervenzellen, die Serotonin als Botenstoff abgeben und damit die Aktivität aller anderen, in ihrer Nachbarschaft befindlichen Nervenzellen beeinflussen. Das tun sie gleichmäßig, den ganzen Tag über etwa 3 bis 5mal pro Sekunde. Nur im Schlaf wird diese Frequenz geringer und im Traumschlaf ist dieses System ganz still. Das serotonerge System macht etwas, was kein anderes System kann. Es sorgt mit seinem über das ganze Gehirn verteilten gleichmäßigen »Output« für die Koordination und Harmonisierung der in verschiedenen, z. T weit auseinanderiiegenden, lokalen neuronalen Netzen generierten Aktivitäten.
In seiner Bedeutung ähnelt das serotonerge System einem riesigen, weit ver-
zweigten Bewässerungssystem, dessen Schleusen in regelmäßigen Abständen kontrolliert geöffnet werden. Substituierte Amphetamine wirken wie jemand, der plötzlich alle Schleusen dieses Systems öffnet. Das Ergebnis ist ein Gefühl überströmender Harmonie. Dieses durch eine Droge hervorgerufene Harmoniegefühl ist zwangsläufig intensiver als das, was das serotonerge System normalerweise in einem Gehirn zu leisten vermag, das von den Wahrnehmungen einer äußeren Welt voller Widersprüche, Schreckensmeldungen und Konflikten bombardiert wird.
Dieses künstliche Öffnen der serotonergen Präsynapsen hat einen Preis, ihren Untergang. Sie sind nicht auf ein plötzliches Öffnen ihrer Schleusen vorbereitet und pumpen sich bei dem Versuch, das ausgeschüttete Serotonin wieder aufzunehmen und ordentlich abzuspeichern, fast zu Tode, endgültig dann, wenn ihr Energienachschub nicht mehr funktioniert. Mit dem Untergang der serotonergen Nervenendigungen entfällt auch ihr stabilisierender Einfluß auf alle nachgeschalteten Nervenkontakte im Gehirn, so daß auch diese synaptischen Verschaltungen instabil und schließlich aufgelöst werden. In der Hirnrinde der Ratte sind dies 30 bis 50 Prozent aller dort vorhandenen Synapsen.
Das Fazit von Professor Huether- »Substituierte Amphetamine gehören zu den heimtückischsten und gefährlichsten Drogen, die ich kenne. Jugendliche, die diese Substanzen auf ihrer Suche nach Harmonie benutzen, laufen Gefahr, genau das System in ihrem Gehirn zu zerstören, welches für die Generierung von Harmonie und für ihre Fähigkeit, Freude, Glück und Zufriedenheit zu empfinden, zuständig ist. Ihnen muß durch Aufklärung geholfen werden, denn sie wissen nicht, was sie tun.«
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