- Politik
- Das Ahlener Programm der CDU von 1947
Erinnerung für die Zukunft oder nur eine Mumie?
Kohls »Großväter« - zwei ganz verschiedene Typen und doch ein Gespann: Ludwig Erhard und Konrad Adenauer Foto: dpa
Im Februar 1972, zum 25. Jahrestag des Ahlener Programms der CDU in der ehemaligen britischen Besatzungszone, schrieb Norbert Blüm, Ahlen sei »ein politisches Reizwort« geworden, das zur Stellungnahme zwinge: »Mit heiteren Festreden kann sich niemand an den sozialreformerischen Zielen des Ahlener Programms vorbeischwafeln... Wer anderswo hinwill, weicht ab von den Gründungsintentionen der CDU ... Das Ahlener Programm ist eine Erinnerung für die Zukunft der CDU« » Wer das Schicksal des Ahlener Programms verfolgt, der wird Blüms Bewertung anzweifeln müssen.
Es war das Pensionat St. Michael in Ahlen (Nordrhein-Westfalen), das den am 1. Februar 1947 anreisenden Mitglieder des CDU-Zonenausschusses im britisch besetzten Teil Deutschlands Unterkunft und Tagungsräume bot. Ein Herr Scheffler hatte mittels »Beziehungen« Ziegel gegen Heizungsmaterial und Lebensmittel tauschen können, so daß für warme Räume und Essen gesorgt war. Die Beratungen kamen zügig voran. Am 3. Februar 1947 wurde ein Wirtschafts- und Sozialprogramm beschlossen, dessen Erstausgabe unter dem Titel »CDU überwindet Kapitalismus und Marxismus« erschien.
Schon vor dem Ahlener Programm waren programmatische Beschlüsse christdemokratischer Gruppierungen in den verschiedenen Besatzungszonen
Deutschlands verabschiedet worden. Als einer der wichtigsten Vertreter eines »christlichen Sozialismus« bzw eines »Sozialismus aus christlicher Verantwortung« wurde nicht nur in der sowjetischen Besatzungszone Jakob Kaiser angesehen, der in Berlin mit dem ehemaligen Reichsminister Andreas Hermes eine Christlich-Demokratische Union gebildet hatte. Auch die christlichen Arbeiter, die sich vor allem in den Sozialausschüssen der CDU des Rheinlandes schon früh zusammenfanden, forderten dazu auf, weitgehende Konsequenzen aus der Zeit des Faschismus zu ziehen. In einem »Aufruf des sozialen Ausschusses der CDU« vom
5. September 1946 hieß es u. a.: »Durch den Zusammenbruch des Nationalsozialismus muß auch die Herrschaft der kapitalistischen Wirtschaftsmacht das verdiente Ende finden... Wir fordern daher die Aufhebung der Truste und Konzerne, die Herbeiführung der vollen Gleichberechtigung der Arbeitnehmer in den Betrieben, in der Wirtschaft in den öffentlich-rechtlichen Berufen und Wirtschaftsvertretungen und damit eine ? gerechte Verteilung des Wirtschaftsertrages an alle schaffenden Volksglieder!...« 2 Ein Frankfurter Gründungskreis für eine christlich-demokratische Partei sprach sich noch entschiedener für sozialistische Forderungen aus.
An Bedeutung übertroffen wurden letztlich jedoch alle christdemokratischen Gruppierungen im Westen durch einen Kölner Gründerkreis, der sich ursprünglich eng an Gedankengänge der katholischen Soziallehre anlehnte. Vornehmlich dank dem taktischen Geschick von Konrad Adenauer vermochte dieser sich durchzusetzen, wobei der Begriff »christlicher Sozialismus« verschwand. Doch auch wenn er im Ahlener Programm nicht mehr auftaucht, so verrät es dennoch in manchen Teilen den Einfluß jener sozialreformerischen Kräfte auch in der CDU, die auf die Realisierung antikapitalistischer Vorstellungen hofften oder doch zumindest im »machtverteilenden Prin-
zip« - einem Zentralbegriff des Ahlener Programms - die Möglichkeit der Eingrenzung einer schrankenlos wirkenden kapitalistischen Profitsucht erblickten.
Das Programm beginnt mit den Sätzen: »Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.« Es müsse »eine Neuordnung von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und -.wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein«. Es wird von einer »gemeinwirtschaftlichen Ordnung«, von der Erkenntnis, daß wirtschaftliche Macht
politische Macht verleihe sowie von der Mitbestimmung der Arbeiter und Entflechtung von Monopolen gesprochen. »Planung und Lenkung der Wirtschaft«, hieß es, werden »auf lange Zeit hinaus in erheblichem Umfange notwendig sein...«
Die Sozialisierungsthese bröckelte jedoch rasch. Den Männern um Adenauer und seinem Bankier-Freund Pferdmenges kam dabei die Umorientierung der US-amerikanischen Politik gegenüber der UdSSR entgegen. Der Kalte Krieg hatte begonnen. Die Förderung des Unternehmer-Kapitalismus durch die USA begünstigte in der CDU die Durchsetzung jener von Ludwig Erhard aufgegriffenen ordnungspolitischen Vorstellungen, die mit den ordoliberalen Lehren von Röpke, Eucken und Oppenheimer verbunden sind. Der damals noch parteilose Erhard, dessen 100. Geburtstag sich am 4. Februar jährt, wurde zur Leitfigur für die »soziale Marktwirtschaft« und das »Wirtschaftswunder«. Mit den »Düsseldorfer Leitsätzen« vom 15. Juni 1949 wurden die gesellschaftspolitischen und wirtschaftsverfassungspolitischen Neuordnungsvorschläge von Ahlen auf eine soziale Rücksichtnahme des Privatkapitalismus reduziert. 3
Der Beginn der »sozialen Marktwirtschaft« bedeutete für viele Politiker und Theoretiker die vollständige Aufgabe des Ahlener Programms. Strauß sprach von einer »Mumie«, über die schon das Gras gewachsen sei. 4 So wollten es jedoch die Mitglieder in den Sozialausschüssen der CDU nicht sehen. Und die Erfolgsgeschichte der CDU beruht ja auch gerade darauf, daß sich deren Führung stets bewußt war, Mehrheitsfähigkeit in der Bevölkerung sich nur bei Rücksichtnahme auf ihren Sozialflügel sichern zu können. Trotz spektakulärer Wahllosungen wie »Freiheit oder Sozialismus« hatte die CDU ihren sozialen Impetus - mit dem sie sich vorteilhaft von der FDP abheben konnte - nie vergessen.
Die jetzt vorgesehene Steuerreform mitsamt der beabsichtigten Rentenbesteuerung könnte dem Sozialflügel der CDU endgültig den Boden unter den Fü-ßen wegziehen. Dies wird auch der Grund dafür sein, daß Blüm, Geißler und andere in der CDU Widerspruch anmelden. Von den »Gründungsintentionen« der CDU, an die Blüm 1972 noch erinnerte, könnte beim Umbau oder besser: Abbau des Sozialstaates nichts mehr übrigbleiben.
1 Soziale Ordnung, Nr 2, 26. 2. 1972;
2 Kölnische Rundschau, 10. 9 1946;
3 So A. Mintzel in: Parteiensystem der Bundesrepublik, Opladen 1976, S. 86;
4 Nach A. John: Ahlen und das Ahlener Programm, Ahlen 1977, S. 151
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