Dumme fördern nie Schlaue!

Die arabische Hochkultur und Europa

  • Klaus Jaschinski
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Wie gern triebe ich mit Dir Arabisch.« Dies schrieb Leopold von Ranke, der spätere Begründer der quellenkritischen Geschichtswissenschaft, 1826 an seinen Bruder - gleichsam voller Bewunderung für das, was die arabische Welt einige Jahrhunderte zuvor an zivilisatorischer Leistung hervorgebracht hatte. Ranke gehörte zu jenen nicht wenigen Gelehrten und Dichtern des 18. und 19. Jahrhunderts, die an die »Wiederentdeckung« der arabischen Hochkultur zuzeiten des Kalifats teilnahmen und sodann sich faszinieren und inspirieren ließen. Aber schon vor dieser »Wiederentdeckung« hatte man im christlichen Abendland Errungenschaften der arabischen Wissenschaften aus der Blütezeit des Kalifats kennen und schätzen gelernt, oft indes überlagert von Feindbildassoziationen. Eberhard Serauky führt dem Leser Größe und Glanz der arabischen Wissenschaft und Kultur im Mittelalter mit deren Auswirkungen auf Europa vor Augen. Näher vorgestellt werden hierbei das Buch-, Bibliotheks- und Postwesen im arabischen Kalifat. Besonderes Augenmerk gilt einzelnen Wissenschaftszweigen wie der Mathematik, Astronomie, Philosophie, Musik und Medizin, und der Art und Weise, wie sie in Europa wahrgenommen und gewonnene Erkenntnisse daraus genutzt wurden. Ibn Sina zum Beispiel war seit dem 12. Jahrhundert als Avicenna bekannt. Ein Großteil seiner Schriften wurde in dieser Zeit bereits ins Lateinische übersetzt, und sein Medizinwerk diente über Jahrhunderte als Ausbildungsgrundlage. Darüber hinaus geht der Autor der Frage nach, welche inneren Entwicklungen und äußeren Einflüsse schließlich dafür sorgten, dass die Blütezeit islamischen Erfindungsgeistes alsbald zu Ende ging und die Araber wirtschaftlich wie wissenschaftlich zunehmend ins Hintertreffen gerieten. Auch heutzutage trotz üppig sprudelnder Ölquellen scheinen die arabischen Länder, wie er vermerkt, wenig gerüstet zu sein für die modernen Wissenschaften. Weltweit beläuft sich die Zahl der arabischen Internet-Teilnehmer auf nur 0,6 Prozent; vom national erarbeiteten Gesamtgewinn fließen lediglich 0,5 Prozent in die wissenschaftliche Forschung. Bei den Industriestaaten Westeuropas sind es durchschnittlich zumindest 2,5 Prozent. Einem jüngsten UNO-Bericht zufolge erwirtschaften alle 22 arabischen Staaten zusammen kaum ein höheres Bruttoinlandsprodukt als Spanien; d.h. 40 Millionen Spanier produzieren bald mehr als 300 Millionen Araber. Und eine Wende zum Besseren scheint nicht in Sicht. Wie kam es aber zu dieser beträchtlichen Wissenskluft? Und wann setzte der Niedergang geistiger Innovation in der islamisch-arabischen Welt eigentlich ein? Nach Meinung des Autors lässt sich hier keine feste Grenze ziehen zwischen einer Periode der Produktivität und jener eher nutzlosen Beschäftigung mit Dingen, die keinerlei Fortschritt mehr ergab. Auch dürften innere und äußere Faktoren in steter Interaktion gewirkt haben. Schon im 12. Jahrhundert dominierte das Abgleiten der Wissenschaften in Skurriles und Bedenkliches. Ein typisches Beispiel dafür liefert die Astronomie, wo empirische Forschung mehr und mehr zu Gunsten spekulativer Wahrsagerei vernachlässigt wurde. Interpretation, wie wortgewaltig auch immer, drängte Innovation zunehmend in den Hintergrund, und im Gefolge dessen feierte Scharlatanerie fröhliche Urständ, was wiederum nicht von ungefähr religiöse Eiferer auf den Plan rief. Ein Großteil der begabten Gelehrten bestritt zudem seinen Lebensunterhalt nicht in erster Linie aus Forschung und Lehre, sondern aus geschäftlichen Unternehmungen wie dem Buchverkauf, der u.a. dem anerkannten Mathematiker Mubair b. Ahmad ein beachtliches Einkommen bescherte. Was dafür im Einzelnen auch immer die Ursachen gewesen sein mochten, ob wirtschaftliche Not oder Streben nach Leben im Luxus, letztlich kam diese Art geschäftlicher Verstrickung einer Vergeudung von wissenschaftlichem Potenzial gleich. Wachsende Konkurrenz im Handel (Portugal), innere Unruhen und verheerende kriegerische Auseinandersetzungen (Kreuzzüge, Reconquista und Mongolensturm) taten dahingehend noch ein Übriges und ließen an den arabischen Höfen das Geld für Gelehrte und ihre Forschungen zunehmend knapper werden. Mag sein, dass die Blütezeit arabischer Wissenschaft, wie sie das Kalifat hervorbrachte, unwiderruflich der Vergangenheit angehört. Manche vom Autor hier für den wissenschaftlichen und kulturellen Niedergang aufgezeigten Symptome und ins Feld geführten Gründe sind aber keineswegs so einzigartig, als dass sie nicht auch noch für die Gegenwart von Belang wären. Heutzutage lässt sich gerade hier zu Lande ein wissenschaftlicher Niedergang beobachten, gleichsam ein Abgleiten der Wissenschaften in Skurriles und Bedenkliches, gepaart mit purem Profitstreben. An die Stelle religiöser Eiferer sind freilich inzwischen parteipolitische Eiferer getreten, die mit Inkompetenz, Dilettantismus und krimineller Veranlagung glänzen, im schnöden Mammon ihren Götzen verehren und das eigene Mittelmaß mittels Medien in den Superlativ erhoben haben. Aus dem wissenschaftlichen Niedergang des arabischen Kalifats resultiert so gesehen natürlich auch eine Mahnung, die zu begreifen sicher längst an der Zeit sein dürfte, denn eines wusste man schließlich sc...

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