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Neuanfang der Linken Estlands

Namens- und Führungswechsel beschlossen

  • Matthias Gärtner, Tallinn
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Estnische Sozialdemokratische Arbeiterpartei (ESDTP) hat sich in Estnische Linkspartei (EVP) umbenannt und Sirje Kingsepp zu ihrer neuen Vorsitzenden gewählt.
Die ESDTP, Gründungsmitglied der Europäischen Linkspartei, hatte bei den Wahlen im Jahre 2003 mit nur 0,4 Prozent der Stimmen den Wiedereinzug ins estnische Parlament (Riikigogu) verpasst. Auch bei der Wahl zum Europäischen Parlament im Juni dieses Jahres kam sie lediglich auf 0,6 Prozent. Der Parteitag am vergangenen Wochenende war daher als Start für einen Neuanfang gedacht. Denn die Paqrtei war - wie einige Diskussionsredner beklagten - in der Öffentlichkeit nicht mehr hörbar und sichtbar. In seinem Rechenschaftsbericht verlangte Tiit Toomsalu, der seit 1996 an der Spitze der ESDTP stand, aber nicht wieder als Vorsitzender kandidierte, eine programmatische und personelle Erneuerung. Mit dem Beitritt Estlands zur EU hätten sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen geändert, worauf die Partei reagieren müsse. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Linkspartei eröffne unter anderem neue Chancen zur Schaffung eines Netzwerkes linker Kräfte im Baltikum, der sich die ESDTP widmen möchte. Dass dabei die Unterstützung der europäischen Linken notwendig ist, zeigt allein schon die Tatsache, dass der Gesamtetat der Partei, die gegenwärtig 1151 Mitglieder hat, im Jahr 2004 bei 57000 Kronen lag, was knapp 3500 Euro entspricht. Inhaltlich will man sich in der nächsten Zeit insbesondere sozialen und ökologischen Fragen zuwenden. Zu den Benachteiligten gehören insbesondere die Rentner Estlands, deren Einkommen oftmals nur wenige Kronen über der offiziellen Armutsgrenze liegen. Gerade ältere Leute fallen im Straßenbild Tallinns dadurch auf, dass sie Papierkörbe und Mülltonnen nach Verwertbarem durchwühlen. Die Partei plant künftig stärker mit der Rentnerpartei zusammenzuarbeiten, die Gast auf dem Parteitag war. So will man beispielsweise dagegen protestieren, dass ab 1. Januar 2005 Zeiten, in denen Betroffene in der sowjetischen Armee gedient haben, bei der Rentenberechnung nicht mehr berücksichtigt werden. Die Mehrheit des Parteitages sprach sich dafür aus, den Esten bei der Abstimmung über die EU-Verfassung ein Nein zu empfehlen. Eine deutliche Minderheit war allerdings dafür, keine Empfehlung auszusprechen. Höhepunkt des Kongresses war die Namensänderung der Partei. Der alte Name hatte zu Verwechslungen geführt, denn neben der Estnischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die einst aus dem Reformflügel der KP Estlands hervorgegangen war und sich zunächst Demokratische Partei der Arbeit genannt hatte, gibt es inzwischen auch eine Sozialdemokratische Partei. Nachdem zunächst auch die Varianten Sozialistische Partei, Arbeitspartei und Demokratisch-Sozialistische Partei erörtert worden waren, sprach sich eine große Mehrheit für den kurzen Namen Estnische Linkspartei (Eesti Vasakpartei - EVP) aus. Der nächste Schritt zum Neuanfang bestand darin, die 35-jährige Sirje Kingsepp nahezu einstimmig zur Vorsitzenden zu wählen. Ihr Vorgänger Tiit Toomsalu sieht in Kingsepp eine Persönlichkeit, die nichts mit der Vergangenheit der Partei zu tun hat und daher neue Wählerschichten erschließen kann. Übrigens ist die EVP die einzige Partei Estlands, an deren Spitze eine Frau steht.
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