Entlassungschein für den Gefreiten Grund

Die letzten Wehrpflichtigen verließen Tschechiens Kasernen / Künftig nur noch Berufssoldaten

  • Jaroslav Polivka, Prag
  • Lesedauer: 2 Min.
Der tschechische Gefreite Jaroslav Grund wird in die Geschichte eingehen. Nicht wegen außergewöhnlicher Leistungen, sondern wegen einer Ehre, die ihm zufällig zuteil wurde.
Jaroslav Grund, 20-jähriger Angehöriger einer Raketeneinheit im südböhmischen Strakonice, wurde diese Woche symbolisch als letzter Wehrpflichtiger seines Landes von seinem obersten Dienstherrn Karel Kühnl persönlich verabschiedet. »Herr Verteidigungsminister, während meines Jahresdienstes hat sich nichts Besonderes ereignet«, meldete Grund, der wie rund 1800 weitere Kameraden des letzten Jahrgangs am Mittwoch nach Hause gehen durfte. Seit Tschechien 1999 der NATO beitrat, sind seine Soldaten mehrfach an Krisenherden eingesetzt worden. Bei den vermeintlich den Frieden erhaltenden Einsätzen hat es immer mal wieder disziplinarische Vergehen oder psychisches Versagen gegeben. In der Berufsarmee, die Tschechien ab 1. Januar 2005 unterhält, soll es das nicht mehr geben. Sowohl Regierung als auch militärisches Oberkommando erhoffen sich von Berufssoldaten mehr Stabilität und stärkere Motivation. Ob zu Recht, muss sich erst zeigen. Jedenfalls werden die neuen Aufgaben mit deutlich weniger Personal als früher in Angriff genommen. Während in der tschechoslowakischen Armee bis 1989 jährlich rund 300000 Mann unter Waffen standen, sind es künftig nur noch gut 35 000 - unter ihnen natürlich auch Frauen. Dass zum ersten Mal seit 1868, als Kaiser Franz Josef für alle Teile der Habsburger Monarchie die allgemeine Wehrpflicht einführte, keine jungen Tschechen mehr in die Kasernen einrücken müssen, findet natürlich vor allem bei den demnächst fälligen Jahrgängen Beifall. Auch Eltern und manche Ehefrau müssen den Sohn und Gatten nun nicht mehr - zuletzt waren es 12 Monate - entbehren. Und etliche Unternehmen der High-Tech-Branche dürften erleichtert sein, dass ihre jungen Computerspezialisten nicht mehr für ein Jahr ausfallen. An verödeten Standorten der Armee werden dagegen Kaufkraft und Arbeitsplätze schmerzlich vermisst. Aber auch Krankenhäuser und Altenheime haben die Nachricht von der Abschaffung der Wehrpflicht mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Die tschechischen Zivildienstleistenden - die ein halbes Jahr länger dienen mussten als ihre uniformierten Altersgefährten - bewahrten gerade in diesen Einrichtungen oft genug den täglichen Betrieb vor dem Kollaps. Bei großen Kliniken wie dem Krankenhaus in Prag-Vinohrady waren stets einige hundert Zivis als Pfleger oder Reinigungskräfte tätig. Nun hat die Regierung versprochen, neue Arbeitsplätze in diesen Bereichen finanziell zu unterstützen. Doch ein tschechischer Zivi ging im Monat mit 4000 Kronen (rund 133 Euro) nach Hause. Da bedarf es schon erheblicher Zuschüsse aus der chronisch leeren Staatskasse, um ältere Arbeitskräfte zu gewinnen, die von ihrem Einkommen eine Familie ernähren müssen.
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