Paris erleichtert über Geiselbefreiung

Journalisten waren in Irak 123 Tage in der Gewalt islamistischer Terroristen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

Großer Bahnhof für die französischen Journalisten Christian Chesnot und Georges Malbrunot: Erst wurden sie gestern von Außenminister Barnier in Zypern in Empfang genommen, dann wollte sie Präsident Chirac auf dem Luftwaffenstützpunkt Villacoublay begrüßen.

»Wir sind außer uns vor Freude«, erklärte Robert Ménard, Generalsekretär der Organisation »Reporter ohne Grenzen«, die in den zurückliegenden Monaten die Solidaritätsaktionen für die beiden freien Mitarbeiter der Rundfunksender RFI und RTL sowie der Zeitungen »Le Figaro« und »Ouest-France« koordiniert hatte. Als Premierminister Jean-Pierre Raffarin die Nachricht während einer Türkei-Debatte des Senats am Dienstag verkündete, reagierten die Senatoren mit stürmischem Beifall. Rundfunk und Fernsehen strahlten Sondersendungen aus. Innenminister Dominique de Villepin würdigte die Haltung all der Franzosen, die sich für die Freilassung eingesetzt haben. Und die FKP-Vorsitzende Marie-George Buffet erklärte, wie erleichtert die französischen Kommunisten seien, und würdigte die »Einheit der Nation« in diesem Fall. Die Freilassung kam für die französische Regierung letztlich doch überraschend. Davon zeugt, dass Präsident Jacques Chirac bereits zum Weihnachtsurlaub nach Marokko abgereist war. Als ihn dort am späten Dienstagnachmittag die Nachricht erreichte, kehrte er sofort nach Paris zurück. Die viermonatige Geiselhaft von Chesnot und Malbrunot war reich an dramatischen Zuspitzungen, zunächst genährten, dann wieder enttäuschten Hoffnungen, aber auch an politischen Ränkespielen. Die beiden Journalisten waren zusammen mit ihrem syrischen Fahrer Mohammed al-Joundi am 20. August auf der Fahrt von Bagdad nach Nadschaf offenbar von kriminellen Wegelagerern gekidnappt und an eine Organisation verkauft worden, die sich »Islamische Armee im Irak« nennt. Diese Gruppierung, die sich weitgehend aus nichtirakischen Extremisten zusammenzusetzen scheint, war schon wiederholt durch Sprengstoffanschläge, bewaffnete Überfälle und Geiselmorde - so an dem Italiener Enzo Baldoni - in Erscheinung getreten. Die Hoffnung auf eine schnelle Freilassung angesichts der kritischen Haltung Frankreichs zum Irak-Krieg zerschlug sich, als die Geiselnehmer von Paris eine Rücknahme des Gesetzes über das Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen verlangten - eine Forderung, auf die man nicht eingehen wollte. Es wurden jedoch alle diplomatischen Hebel in Bewegung gesetzt. Außenminister Michel Barnier pendelte regelmäßig zwischen Paris und der Region. Namhafte Vertreter islamischer Organisationen in Frankreich reisten nach Bagdad. Die traditionell guten Beziehungen Frankreichs zu den meisten arabischen Ländern wurden genutzt, arabische Politiker setzten sich für die Freilassung ein. Mehrfach schienen die über Mittelsmänner diskret geführten Verhandlungen erfolgreich zu sein, doch meist verschärften ausgerechnet dann die USA-Truppen die Angriffe auf Orte, in denen man Geiselnehmer und Geiseln vermutete. Iraks Interimspremier Ijad Allawi erklärte sogar, die Entführung sollte für die französische Regierung »eine Lehre sein, wohin es führt, wenn man sich im Irak-Konflikt neutral verhalten will«. Als Mohammed al-Joundi, der von den beiden Franzosen getrennt gefangen gehalten wurde, dann USA-Truppen bei den Kämpfen in Falludscha in die Hände fiel, wurde er tagelang von Geheimdienstoffizieren verhört. Am 17. November setzten sie ihn barfuß und ohne Geld in Bagdad aus. Al-Joundi, der Syrien vor Jahren wegen seiner Opposition zum Regime verlassen und dann im irakischen Exil gelebt hatte, wurde nun mit seiner Familie nach Frankreich ausgeflogen. Hier hat er umgehend Anzeige gegen die USA-Militärbehörden wegen »menschenunwürdiger Behandlung« erstattet. Während das offizielle Frankreich ein gestörtes Verhältnis zu Syrien hat, bemühte sich Ende September der rechte Abgeordnete Didier Julia, der Vorsitzender einer parlamentarischen Freundschaftsgruppe Frankreich-Syrien ist, in Damaskus auf eigene Faust über Freunde vor Ort und deren Beziehungen in den Irak um die Befreiung der Geiseln. Sein Vertrauter Philipp Brett sagte sogar Reportern, er sei schon mit ihnen zusammengetroffen. Doch laut französischem Auslandsgeheimdienst war er gar nicht in Irak. Wie Regierungspolitiker erklärten, werde Julia über seinen Alleingang Rechenschaft abzulegen haben, sobald Chesnot und Malbrunot frei sind. Der Fall ist also noch nicht abgeschlossen. Auch wenn Premierminister Jean-Pierre Raffarin bei einem Treffen mit Vertretern der französischen Parteien noch einmal betonte, dass kein Lösegeld gefordert und auch nicht gezahlt worden sei, wie die kommuni...

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