Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Partnerschaft kann zur Falle werden

Indien Vielen Basisaktivisten fehlt Bescheidenheit, den »Armen« statt sich selbst zu dienen Von Dr. Vithal Rajan, Hyderabad

  • Lesedauer: 4 Min.

Foto: Reuter

Nach Studien in England verzichtete der indische Ökonom Dr. Rajan. auf eine traditionelle brahmanische Karriere und widmete sich der basisnahen Entwicklungsarbeit. Der Vorsitzende der »Deccan Development Society« übermittelte uns seine Sicht auf die Rolle der indischen Nichtregierungsorganisationen (NRO).

Die Politik der Liberalisierung und Globalisierung hat die NRO-Bewegung in eine blendende Partnerschaft mit der indischen Regierung in fast allen Aspekten ihres Entwicklungsplans getrieben. Auch wenn viele hohe Regierungsbeamte nur zögernd ihren Argwohn und ihre patronisierende Verachtung gegenüber »Basis-Aktivisten« ablegen, bestehen die Weltbank und andere internationale Kredit- und Geberinstitutionen auf der Beteiligung von NRO. Die Bildung einer Zentralregierung durch die United Front hat diesen Trend nur wenig beeinflußt.

Überraschend kamen jedoch aus angesehenen radikalen Kreisen heftige Attacken auf die NRO und ihren Arbeitsstil. Madhu Kishwar, Herausgeberin der angesehenen feministischen Zeitschrfit Manushi, geißelte in der Times oflndia das Gros der NRO scharf als »herumjettende Seminar-Besucher« und einige von ihnen als »glatte Erpresser«. In der populären Zeitschrift The Week folgte die Titelgeschichte »Der Große Hilfe-Schwindel«, die detailliert ausführte, wieviele der 58,749 Mrd Rupien (ca. 2,6 Mrd. DM), die ausländische Geber 1990 bis 1994 an rund 10 000 NRO zahlten, jemals die Armen erreichten. Natürlich nehmen die Kritiker einige bekannte NRO als gute Arbeit leistend aus. Aber es wäre zu ideali-

stisch zu meinen, daß diese Arbeit für viele in der indischen NRO-Bewegung mehr wäre als eine Art, sein Leben zu bestreiten, oder anzunehmen, daß in einer politischen Kultur, die vom nackten Kampf um Geld und Macht geprägt ist, sämtliche NRO den Versuchungen der Korruption entkommen könnten.

Aus der Bewegung selbst sollte die Frage kommen, in welche Richtung sich die NRO entwickeln und ob sie den selbstgesetzten hohen Prinzipien gerecht werden können. Die Bewegung findet ihre Wurzeln nicht nur in der frühen Entwicklungsarbeit christlicher Missionare, sondern auch in dem Aufruf Mahatma Gandhis während Indiens Freiheitskampf, »konstruktive Arbeit zu tun«. Für Gandhi war das ein sehr praktischer Weg, dem politischen Kampf eine spirituelle Dimension zu verleihen. In Indien sieht man heute jedoch sehr mißtrauisch auf »spirituelle« Herangehensweisen, während viele engagierte Personen ein »rationales politisches« Herangehen bevorzugen, um die Armen zu »empowern« (zur Vertretung ihrer Interessen befähigen - ND).

Gerade jene charismatischen Führer in der NRO-Bewegung - oder wie man sagen könnte,' die'NRO-Unternehmef -; die hart arbeiten, um alternative Wege dafür zu finden, Scheinen nicht so sehr viele entscheidungskompetente Gruppen unter den Armen gegründet als vielmehr sich selbst als neue Patrone und Makler der Macht der Basisbewegung kreiert zu haben. Sie sind sicherlich bessere Menschen als die Großgrundbesitzer und müden Bürokraten, die sie in den Augen der Öffentlichkeit ersetzt zu haben scheinen. Aber ist diese Veränderung in der dramatis personae der Entwicklung genug für uns, das als »Empowerment« hochleben zu lassen?

Der Prozeß der NRO-Beteiligung hat seine Führer zweifellos in eine Machtposition gebracht, wo man ihnen aufmerksam zuhört, vor allem seitens der impe-

rialen internationalen Institutionen wie der Weltbank und ihrer westlichen Counterparts auf dem Gebiet der Entwicklung. Führenden Dritte-Welt-Experten, Beamten, politischen Führern wird von der »Weltgemeinschaft« bedeutet, daß jetzt, da die Stimme der »Basis« direkt zu hö-

ren ist, ihre Ansichten später gehört werden, und zwar mit einigem Mißtrauen. All das ist den NRO sehr zu Kopfe gestiegen, und in ihrer Eile, anerkannt zu werden, können sie unabsichtlich als Pfadfinder jener imperialen Mächte werden, die sie so regelmäßig anklagen.

Es kann in diesen neuen und gefährlichen Zeiten keinen sicheren, gut markierten Weg für die ehrlich gesonnenen Basis-Aktivisten geben. Um zu verhindern, daß neue Abhängigkeitsstrukturen für jene Menschen geschaffen werden, denen sie zu dienen wünschen, erfordert nicht nur einen wachen Intellekt, sondern auch ein bescheidenes Herz. Diese spirituelle Dimension des Lebens sollte jeder NRO-Führer wiederentdecken.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal