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100 Jahre Seebad Bansin
Die Badewanne der Berliner wird voller -jedenfalls im Sommer
Von Petra Busch
Bansin ist 100 Für das Jubiläum wirft sich das Ostseebad in Schale. Allerdings gibt's noch etliche Baustellen, ein paar Krane. Der Berliner fühlt sich sofort zu Hause. Das tat er offensichtlich immer schon, weshalb die Beziehungen Berlin - Bansin so alt sind wie das Usedomer Seebad selbst. Ein Berliner, Emil Wichmann, war damals erster Bansiner Logiergast. Weil es ihm so gut gefiel, kaufte er einem Fischer sin Hüsing ab, setzte es instand und erholte sich dort fortan von der anstrengenden Profession des großstädtischen Hühneraugenoperateurs.
Vielleicht fühlte sich Herr Wichmann auf die Dauer etwas einsam zwischen dem großen, weiten Meer, dem einsamen Strand, dem Schloonsee, den grünen Auen und den dichten Wäldern, oder ihn reizte das Beispiel Heringsdorf, wo die Fischer längst nicht mehr von Hering und Flunder allein lebten. Wichmann suchte und fand Leute, die reif waren für die Insel und reich genug, modernen Erholungs- und Badebetrieb in Gang zu bringen. 1897 fand die Gründungsversammlung statt.
Waren in anderen Seebädern Fischerhäuser zu Gästehäusern umgebaut worden, errichtete man in Bansin neue, dem Zweck entsprechende Bauten. Es entstand die typische Seebäder-Architektur, die bis heute das Gesicht Bansins prägt. Den wichtigen Baustoff - Lehm für die Ziegel - fand man nur 150 Meter vom
Strand entfernt an der Stelle der heutigen Seestraße. Später ist das renommierte 4-Sterne-Hotel »Zur Post« auf diesen Lehm gebaut worden.
Spuren aus allen Kapiteln lOOjähriger Ortsgeschichte findet der Gast auf Schritt und Tritt. Für den Gründerenthusiasmus steht das Wichmann-Haus in der Seestraße. 1920 ging es in den Besitz eines anderen Spreeatheners über, des Astronomen Prof. Friedrich Simon Archenhold, Begründer der Sternwarte in Berlin-Treptow. Archenholds erinnern sich ältere Bansiner als eines Originals. So heißt es, er habe nichts für strenge Etikette übrig gehabt und sei zum Entsetzen der vornehmen Gesellschaft anstatt im Smoking im Pyjama zum Ball im ersten Haus am Platze erschienen. Sein wissenschaftlichen Renommee reichte wohl für solcherart »Narrenfreiheit« aus.
Gut 300 Gäste hatte Bansin in seiner allerersten Saison. Zehn Jahre später kamen bereits mehr als 5000, nach einem weiteren Dezennium wiederum doppelt so viele. 1938 war Bansin voll ausgebaut und beherbergte 23 000 Gäste. Die Berliner betrachteten Usedom sozusagen als ihre Badewanne. In weniger als drei Stunden konnte man mit dem D-Zug dort sein. Weil es mit der Bundesbahn etwas langsamer geht, reisen 80 Prozent der Bansin-Besucher heute lieber mit dem Auto an.
Kurdirektor Dietmar Gutsche interessiert vor allem, daß die Gäste kommen. Und sie tun es. Rund 16 Prozent Steigerung im vergangenen Jahr sind nach seiner Meinung auch das Ergebnis der Ar-
beit des Zweckverbandes, den die drei sogenannten Kaiserbäder auf die Beine stellten. Die erst im Februar 1997 begonnene zentrale Zimmervermittlung brachte 7000 Übernachtungen und 2000 Gäste mehr als im Vergleichszeitraum '96. Das ermutigt »Post«-Hotelier Gerhard Gühler, für dieses Jahr noch einmal acht Prozent Steigerung zu erwarten.
»Die allerdings anderswo fehlen werden, denn die Zahl der Touristen wächst nicht. Der Kuchen wird nur - von der Nordzur Ostsee - neu verteilt.« Und der Vorsitzende des Tourismusverbandes Mecklenburg-Vorpommern, Landtagspräsident Rainer Prachtl, meint: »Wir brauchen den Ausbau des Tourismussektors und sehen darin Chancen für etwa 25 000 neue Arbeitsplätze.«
Eine Milliarde DM sind bisher investiert worden, um Badeortniveau zu erreichen, wie es der Gast aus alten Bundesländern gewohnt ist und das auch der Neubundesländer inzwischen für sein Geld erwartet. Damit konnten noch immer nicht alle Folgen von über 40 Jahren FDGB-Feriendienst mit ganzjährigem preiswerten Urlaubsbetrieb (wir erinnern
uns: 13 Tage Unterkunft, Verpflegung etc. für 30, Mark) getilgt werden. Zahlreiche Häuser waren 1953 mit der berüchtigten »Aktion Rose« enteignet worden. Inzwischen sind viele Eigentumsverhältnisse geklärt, was nicht ohne Konflikte ablief. Eigentümer von westwärts, wie Gerhard Gühler, der in den 50ern nach Stuttgart »auswanderte«, ist heute wieder Bansiner und glücklicher Besitzer des Hotels »Zur Post«. Denkmalschutzgerecht ließ er das 1906 im klassischen Seebäderstil erbaute Haus vollständig wiederherstellen und empfängt in der nunmehr vierten Saison seine Gäste.
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