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  • Politik
  • Psychologen versuchen, das Denken in Deutschland zu ergründen

Bemühte Ossis und lustlose Wessis

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 5 Min.

Sagen Sie uns doch einfach die Lösung, die wir auswendig lernen können.« Soviel Uneigenständigkeit schokkierte den Westlehrer, der für einige Zeit an einem Gymnasium in Ostberlin eingesetzt wurde. Monatelang hatte er sich bemüht, den Schülern im Physikunterricht beizubringen, sich die Ergebnisse eines Experiments selbst zu erarbeiten und sie zu interpretieren. Und jetzt das: Unfähig zum selbständigen Denken, durch jahrelangen Frontalunterricht Marke DDR auf alle Zeiten gegen jeglichen pädagogischen Fortschritt immun?

Was auf den ersten Blick wie ein typisches Vorurteil eines eingeborenen Wessis gegenüber dem Osten daherkommt, erweist sich bei näherem Hinsehen als so falsch nicht. In mehreren Studien hat sich eine Gruppe von Kognitivpsychologen aus Bamberg, Berlin und Göttingen auf die Spur der geistigen Befindlichkeiten in Ost und West begeben. Der Titel des Buches, in dem die Ergebnisse der Untersuchungen veröffentlicht wurden, klingt philosophischer, als er ist: »Denken in Deutschland« ist in weiten Teilen statistische Materie, die allerdings durchaus aufbereitet wird. Einige Verfasser des Buches versuchten mit Hilfe von Computerspielen das Denken diesseits und jenseits der Elbe zu ergründen. Die Probanden sollten bestimmte modellhafte Aufgabenstellungen lösen. So ging es in einem Fall darum, in einem imaginären schwedi-

schen Urwald ein Feuer mit den vorhandenen Möglichkeiten und Mitteln zu bekämpfen; ein anderes Experiment bestand darin, ein Wüstenvolk am Rande der Sahelzone vor der ökonomischen und existentiellen Vernichtung zu bewahren.

In beiden Fällen versagten die Teilnehmer aus dem Osten Deutschlands kläglich. Immer wenn es darauf ankam, flexibel auf ungewöhnliche und neue Entwicklungen zu reagieren, fand der an seinem Plan stur festhaltende Ossi keinen Ausweg. Die Versuchspersonen aus dem Westen zeigten sich der Situation eher gewachsen und konnten mehr Wald vor den Flammen retten als ihre Landsleute zwischen Elbe und Oder Wenn es um Menschenleben geht; ist allerdings auch der Westdeutsche mit seinem Latein am Ende. Während die Ostdeutschen einige Zeit brauchten, um das virtuelle Wüstenvolk der Moros allesamt verdursten zu lassen, führten die in der Übernahme anderer Gesellschaften erfahrenen Westdeutschen die Sahelbewohner um einiges rascher in den Untergang. »Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!« - so umschreiben die Autoren den Charakter des Modell-Ossis. Treffend auch die Zuschreibung für den Alt-Bundesbürger.-»Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!«

40 Jahre Trennung in zwei verschiedene Gesellschaftssysteme haben im Denken der Deutschen ihre Spuren zurückgelassen. Die Folge: Unterschiedliche Denk- und Entscheidungsprozesse auch heute noch, acht Jahre nach dem Mauerfall. Deutlich wurde dies, wenn die Pro-

banden eine Zeichnung oder ein Gemälde beschreiben sollten. Die Teilnehmer aus dem Osten seien mit den ästhetischen Aufgaben tiefsinniger umgegangen, sie versuchten stärker als die Versuchspersonen aus dem Westen, den Sinn eines Bildes zu verstehen, schreibt der Herausgeber des Buches, Stefan Strohschneider, im Schlußkapitel. Auf der Suche nach der Wahrhaftigkeit eines Bildes verlieren sie jedoch leicht das Wesentlichste - das Ziel - aus den Augen. Grundlage des idealtypischen Ostdenkens sei nämlich ein deterministisches, hierarchisches Weltbild, es werde danach gestrebt, das hinter allen Problemen stehende allgemeingültige Prinzip aufzudecken. Ganz anders die Psychologie des Wessis: »Grundlage ist ein oft zusammenhangloses, pluralistisches Weltbild. Manche Probleme sind lösbar, andere nicht.« Die Suche nach allgemeinen Lösungsprinzipien wird als sinnlos betrachtet.

In der Konsequenz führen die Unterschiede zu einem entgegengesetzten Handeln: Der Ossi geht gründlich, vorsichtig und behutsam vor Er bemüht sich, geschlossen und analytisch zu argumentieren und dementsprechend zu handeln. Was, wie bereits erwähnt, gerade dann ein Nachteil ist, wenn Situationen unübersichtlich werden und mehrere alternative Lösungen möglich sind. Der Wessi dagegen ist zwar schnell bei der Sache und kann mit dem Motto »learning by doing« einige Erfolge verbuchen, insgesamt, so Strohschneider, ist seine Vorge-

hensweise zwar kreativ, letztendlich »aber oberflächlich; man verliert bei Mißerfolgen schnell die Lust und zeigt nur geringe Anstrengungsbereitschaft.« Wer will, kann sich jetzt je nach Belieben der einen oder anderen Seite zurechnen.

Stimmt das Klischee vom oberflächlichen Wessi und geistig unbeweglichen Ossi also doch? Ja und nein. Daß die Ergebnisse nicht repräsentativ sind, geben auch die Verfasser des Buches zu. Das Bild, das Ost- und Westdeutsche voneinander und über sich haben, beruht im wesentlichen auf Bildern, die durch die Medien vermittelt wurden. Auch sieben Jahre nach der Einheit findet der Kontakt überwiegend über BILD, RTL, SAT 1 oder PRO 7 statt. Die Bilder werden jedoch verzerrt wahrgenommen, selbst dann, wenn es persönliche Kontakte gibt. Das dürfte daran liegen, daß Ost und West permanent aneinander vorbeireden, auch wenn sie die gleichen Dinge meinen. An der unterschiedlichen Sprache würden sich die Gegensätze am deutlichsten zeigen, behauptet jedenfalls der Bamberger Psychologe Dietrich Dörner. 1990 fuhr der Wissenschaftler von der fränkischen Universitätsstadt nach Berlin. Auf einem an einer Autobahnbrücke in Thüringen angebrachten Plakat war folgende Werbeaufschrift zu lesen: »EXCELLENT - Mieder verschönen formend die Figur«. Selbst in der Werbung unternehmen die Ossis also den Versuch, »aufzuklären, abzuleiten, zu erklären, warum«, bemerkt dazu der Psychologe. Eine Westfirma hätte die Bilder sprechen lassen: Eine kurvenreiche Blondine im knappen Mieder Wozu braucht es viele Worte, wenn die Botschaft so einfach ist, fragt sich der Westdeutsche verblüfft. Und sein Landsmann jenseits der Elbe wird verwundert den Kopf schütteln ob dieser typischen Oberflächlichkeit der Westdeutschen.

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