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  • Politik
  • Wie geht's, Urte Blankenstein?

Ein Leben lang Frau Puppendoktor

Noch lebt der »Pille«-Mythos, aber er ernährt seine Protagonistin längst nicht mehr

  • Lesedauer: 4 Min.

Urte Blankenstein heute links) und in den 70er Jahren

Fotos: Senft/Archiv

Ein Regisseur entdeckt die zarte Blonde bei einem Casting und zeichnet die ersten Sendungen mit ihr auf, weil man die bisherige Darstellerin der »Frau Puppendoktor« loswerden will. Urte Blankenstein steigt ein, und macht die »Pille« zu ihrem Lebensinhalt - sowohl in den regelmäßig ausgestrahlten Abendgrüßen als auch in den öffentlichen Veranstaltungen, mit denen sie durchs Land reist. Wacker hält sie durch, als die antiquierte Darbietungsform ihrer Sendung unter Kolleginnen und Kollegen bereits belächelt wird, und sich moderneres Outfit unter ziemlichen Mühen zwischen die legendären Abendgrußfiguren Pille, Pitti und Pünktchen zu drängen beginnt. Denn trotz unterschiedlicher Geschmäcker kann sie sich eines großen Publikums sicher fühlen. Das bejubelt die Pille-Programme, die von der Mattscheibe flimmern und strömt in Scharen in Festzelte und Kulturhäuser, wenn die fernsehbekannte Schauspielerin auftritt. Beifall für biedere Belehrun-

gen unter sympatischen Schwarzhaarzöpfen gibt es auch in Wien und im bundesrepublikanischen Villingen / Schwenningen, wo sie auftreten darf, nachdem sie ihre Festanstellung im DDR-Fernsehen aufgibt und als freie Schauspielerin arbeitet.

Einmal, in Wien, bitten sie Vertreter der Kommunistischen Partei Österreichs, auf einer ihrer Veranstaltungen aufzutreten - wenn es geht unentgeltlich, denn sie hätten keine Mittel. Für Urte Blankenstein keine Frage, sie macht es einfach und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, als sie für diesen »ungenehmigten« Auftritt nach ihrer Rückkehr in die DDR angemault wird. »Ich dachte damals, das wären unsere Freunde ...« Doch dies bleibt eine der wenigen Tangenten, die Politik an das Leben der Mimin legt. Sie lebt als freie Schauspielerin und alleinerziehende Mutter eines Sohnes sicher und einigermaßen zufrieden in diesem Land. Gelegent-

liche Abstecher in kapitalistische Nachbarstaaten nähren in ihr nicht den Wunsch, da zu bleiben. »Als Gast wurde ich dort immer verwöhnt, aber ob ich in meinem Beruf so sicher hätte leben und arbeiten können wie in der DDR, war unklar«, rekapituliert sie ihre damalige Situation.

Heute kommt nicht der »geringste Vorwurf« an irgendjemanden über ihre Lippen, daß sie ihren Beruf, den sie »für den schönsten der Welt hält«, nicht mehr so ausüben kann wie sie möchte. Wesentliche Teile des Publikums scheinen abhanden gekommen, die große runde Brille wird in den Abendgrüßen des Fernsehens höchstens noch von einigen Altfans vermißt. Das Telefon klingelt selten dienstlich. Die Auftragslage ist nicht üppig, und bis zur Rente sind es noch reichlich zehn Jahre. Ob der Pille-Mythos in der kindlichen Öffentlichkeit noch so lange am Leben gehalten werden kann, ist wohl fraglich. Ein auf eigene Kosten hergestelltes Video verkauft sich zwar, doch Gewinn bringt es nicht. Aber genau wie Urte Blankenstein viel von ihrer naiven Freundlichkeit auf die Figur der Frau Puppendoktor übertragen hat, rettet sie nicht wenig von deren unerschütterlichem Alleswird-gut-Glauben hinüber in ihr Leben. Sie hadert nicht. »Und ich habe auch nicht vor, diese Haltung aufzugeben, da würde ich mich ja selbst verleugnen«.

Gemeinsam mit Prominenten wie Christiane Herzog, Eva Her-

man und Klaus-Jürgen Wussow engagiert sie sich für eine familienorientierte Kindernachsorgeeinrichtung für schwer kranke Kinder in einer Klinik in Graal-Müritz. Um Geld dafür aufzutreiben, macht sie in diesen Tagen Veranstaltungen in Ückeritz, Kühlungsborn und Boltenhagen. Vor kurzem hat sie auch wieder als »Pille*« bei einem Fest in Sachsen-Anhalt auf der Bühne gestanden und sich am freundlichen Beifall des Publikums gewärmt. Gern kramt sie die Zopfperücke, die Brille, das Video aus dem Selbstverlag und ein paar Schwarz-Weiß-Autogramm-Fotos aus alten Zeiten hervor, freut sich

am Erfolg der Vergangenheit, und an Briefen von früheren Zuschauern. Besonders wählerisch kann sie momentan bei ihren Aufträgen nicht sein. So moderiert sie auch mal öffentliche Veranstaltungen in westdeutschen Kleinstädten, wo sich Politiker aller Couleur tummeln oder Gesangsprogramme mit mancherlei Berühmtheiten der deutschen Volksmusikszene, was soll's... Zurück im heimischen Berliner Kiez ist sie in der Kaufhalle nebenan dann doch wieder die Frau Puppendoktor.

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