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  • Politik
  • Zum Tode von Hans-Joachim Kasprzik

Robuster Regisseur, sensibler Künstler

  • Peter Hoff
  • Lesedauer: 3 Min.

Fnto: ND-Archiv

Die Kantine von Johannisthai fehlt«, brachte eine Kollegin das Dilemma auf den Punkt. In dieser alles andere als gemütlichen Suppenschmiede traf man einander, sprach über Projekte oder darüber, daß sie nicht realisiert werden konnten. Einen solchen Kommunikationspunkt für Fernsehschaffende gibt es nicht mehr Jeder lebt für sich allein oder stirbt für sich allein. Ich erfuhr vom Tode Hans-Joachim Kasprziks aus den ( Nachrichten im Radio.

Im Frühjahr bereiteten wir im Verein »Die ersten 100 Jahre Kino in Berlin« eine Wiederaufführung von »Gewissen in Aufruhr« vor. Wir wollten auch Hans-Joachim Kasprzik einladen - es ist uns nicht gelungen. Der Regisseur hatte sich nach dem Ende des DDR-Fernsehens zurückgezogen.

»Gewissen in Aufruhr« war die erste selbständige Arbeit des jungen Kasprzik gewesen, er drehte die Teile zwei und vier, bei den anderen führte Günter # Reisch Regie. An manchen Stellen ist' Kasprziks Filmteilen noch die Unsicherheit des Debütanten anzumerken, bisweilen forderte er von seinem Hauptdarsteller Erwin Geschonneck, was der beim besten Willen nicht geben konnte: Pathos.

Dennoch zeigen die Filme eine eigenwillige künstlerische Auffassung, eine Handschrift, die sich später weiter ausprägte.

Hans-Joachim Kasprzik war damals 33. Am 14. August 1928 im oberschlesischen Beuthen geboren, besuchte er in Gleiwitz die Oberschule und kam nach der Aussiedlung zunächst nach Oberfranken, später nach Berlin und Kleinmachnow Als Fernsehregisseur verschrieb er sich den Literaturadaptionen. Sein Freund, Dramaturg und Szenarist Dr Albrecht Börner, nennt ihn einen dynamischen und robusten Regisseur, der dabei ein sensibler und verletzlicher Künstler gewesen sei. Das ist auch an seinen Arbeiten ablesbar. Seine Stärke war die Inszenierung starker menschlicher Gefühle vor einem sozial und politisch klar gezeichneten Hintergrund. Mit Klaus Jörn prägte er für die Fallada-Verfilmungen einen originären Stil aus, den er später weiterentwickelte. In seinen Fil-

men entstand das Zeitbild aus den historischen Filmfragmenten, die er mit neuen Figuren füllte. Der Kommentar, auf den er gern zurückgriff, gibt den soziologisch faßbaren Background. Die handelnden Personen sind stets klar profiliert. Wer die Filme einmal gesehen hat, kann sich noch nach Jahrzehnten an diese Figuren erinnern. »Wolf unter Wölfen« mit Annekathrin Bürger und Armin Mueller-Stahl und dem großartigen Wolfgang Langhoff, »Kleiner Mann, was nun?« mit Arno Wyzniewski und Jutta Hoffmann, Wolf Kaiser und Inge Keller boten in den 60er Jahren den Zuschauern, was sie in den oft blutleeren Gegenwartsfernsehfilmen entbehren mußten: großartige Darsteller in Rollen, die von der Regie bis in die tiefsten Winkel ihrer Seele ausgelotet waren.

Die Fernsehromane waren Kasprziks Arbeitsfeld, in der Adaption von Gerhart Hauptmanns Novelle »Bahnwärter Thiel« bewies er jedoch, daß er auch das Genre des intimen Kammerspiels beherrschte. Mit der Adaption der Romane »Brühl«, »Gräfin Cosel« und »Aus dem siebenjährigen Krieg« des polnischen Schriftstellers Jozef Kraszewski, nach den Szenarien von Börner, schuf er 1985 einen farbenfrohen Bilderbogen aus der deutschen Geschichte, der auch Effekte nicht scheute, wie sie die Seriendramaturgie hervorgebracht hatte. Immerhin erwarb sich sein Hauptdarsteller Ezard Haußmann als der intrigante Graf Brühl den Rufeines »J.R. am sächsischen Musenhof«. Der Film hat bei mehreren Wiederholungen seine fortdauernde Wirksamkeit auf dem Bildschirm bewiesen.

Hans-Joachim Kasprzik starb, 69jährig, am Freitag an den Folgen eines Schlaganfalls.

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