Sank Armut nach Sozialgipfel?
Erfried Adam
Der Vertreter der SPDnahen Fnedrich-Ebert-Stiftung ist Sprecher des Deutschen NRO-Forums Weltsozialgipfel aus über 40 nichtstaatlichen Gruppen.
ND-Foto: Jochen Reinert
? Den großen UN-Konferenzen wird oft Folgenlosigkeit vorgeworfen. Wie ist das zwei Jahre nach dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen?
Auf nationaler wie internationaler Ebene gab es Aktivitäten, um eine globale Wirtschaftsordnung zu schaffen, in der das Soziale einen neuen Stellenwert bekommt. Allerdings muß man sagen, daß in der Praxis davon bisher relativ wenig zu verspüren ist.
? Laut Weltbank und UNO nahm seit 1995 weltweit die Armut zu statt ab.
Man muß das sehr differenziert sehen. Diese Berichte weisen nach, daß die absolute Zahl der Armen weiter zugenommen hat und sich dies in einigen Regionen besonders stark konzentriert, in Südasien oder Schwarzafrika. Aber gleichzeitig ist der Prozentsatz der Armen in den jeweiligen Gesellschaften zum Teil doch sehr deutlich zurückgegangen. Das gilt für einige Länder in Ost- und Südostasien, selbst für Indien und Teile Afrikas. Ich darf natürlich nicht verschweigen, daß in diesen Berichten sehr deutlich hervorgehoben wird, daß die Abstände zwischen Armen und Reichen in allen Ländern, insbesondere dann aber auch zwi-
sehen den Weltregionen, drastisch zugenommen haben. Das ist bei weitem nicht das, was man mit dem Stichwort einer ausgewogenen und auch nachhaltigen Entwicklung beschreiben würde.
? Ist die Rechnerei in Prozentzahlen nicht letztendlich eine Beschönigung?
Das ist absolut richtig. Insofern kann man sagen, daß da auch zuwenig getan wird. Allerdings ist das dann nicht nur ein wirtschafts- und sozialpolitisches Problem, sondern es ist auch ein demographisches. Auch die derzeitige Wettbewerbslage auf dem Weltmarkt ist so, daß viele Länder da überhaupt nicht mitkommen und daß auch in den Ländern, in denen insgesamt bisher eine positive Wirtschaftsentwicklung zu verzeichnen war, große Teile der Bevölkerung relativ wenig davon haben. Das, was sich jetzt auf Asiens Finanzmärkten vollzieht, hat natürlich auch wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigungs- und Einkommenslage dort und somit auf die Situation der Armen, die weiter zurückgeworfen werden.
? Die Kehrseite' der Medaille: Politiker vor allen Dingen aus der regierenden Koalition bestreiten, daß es überhaupt so etwas wie Armut im Norden gäbe.
Es ist eindeutig so, daß auch hier die Armut zunimmt. Insgesamt erweitert sich der Anteil der Bevölkerung, der unter das mittlere Einkommen fällt, deutlich und drastisch. Und das Hauptproblem dabei ist die Arbeitslosigkeit. Wir gehen davon aus, daß falsche Konzepte vorliegen.
? Ein Argument ist, wenn man von Armut in Deutschland spräche, schlüge man den Armen in Kalkutta ins Gesicht.
Wir haben uns immer dagegen gewehrt, beide Situationen miteinander zu vergleichen. Armut bemißt sich immer an den relativen Möglichkeiten einer Gesellschaft.
? Eine der Forderungen des NRO-Forums war, daß auch die Bundesrepublik einen nationalen Armutsbericht erarbeiten soll. Wie weit sind Sie gekommen?
Es hat da keine Bewegung gegeben.
Gespräch: Thomas Ruttig
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