Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Rechtsbeugung am laufenden Band

  • Lesedauer: 3 Min.

Seit sieben Jahren wird in der Bundesrepublik das Recht zum Nutzen der Herrschenden in einem nie gekannten Umfang gebeugt. Nachdem die Politik in Bonn den Auftrag erteilt hatte, stürzten sich ganze Schwadronen von Staatsanwälten auf ehemalige Hoheitsträger der DDR und klagten sie an.

Hier beginnt die Rechtsbeugungsorgie des Herrn Schaefgen, Generalstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft II, die geschaffen wurde zur Verfolgung von DDR-Hoheitsträgern. Gemäß dem Einigungsvertrag darf nur der DDR-Bürger straf- v rechtlich verfolgt werden, gegen den ein Strafverfolgungsanspruch am 3. Oktober 1990, 0.00 Uhr, bestanden hat.

In keinem der Prozesse, z. B. gegen 180 Grenzsoldaten, die Führung der Grenztruppen der DDR, gegen die Mitglieder des Kollegiums des Ministeriums für Nationale Verteidigung, gegen die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates, in Prozessen gegen Juristen oder gegen die Mitglieder des Politbüros konnte die Staatsanwaltschaft Vergehen gegen die Gesetze der DDR nachweisen.

In den Prozessen gegen DDR-Hoheitsträger wird auch die geltende Strafpro-

zeßordnung weitestgehend außer Kraft gesetzt; § 160 (2) StPO schreibt vor: »Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und für die Erhebung der Beweise Sorge zu tragen, deren Verlust zu besorgen ist.« Im § 244 (2) heißt es: »Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrekkeni die für die Entscheidung von Bedeutung sind.« Also müßten Staatsanwälte und Gerichte von sich aus auf Anklagen und Eröffnungsbeschlüsse gegen Hoheitsträger der DDR verzichten, da sich diese nach DDR-Recht und -Verfassung nicht strafbar gemacht haben.

In den Prozessen müssen die Verteidiger das nachholen, wozu laut Strafprozeßordnung die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, tun sie das, dann bekommen die Angeklagten und die Rechtsanwälte die geballte Macht der Arroganz von Gericht und Staatsanwalt zu spüren. Im Prozeß gegen die Mitglieder des Kollegiums des Ministeriums für Nationale Verteidigung wurden mehr als 50 Anträge zur Entlastung der Angeklagten durch die An-

walte gestellt, alle wurden durch den Staatsanwalt und das Gericht abgelehnt. Nicht anders wurde in anderen Prozessen verfahren. Ein Anwalt erklärte: Ich bin 25 Jahre Strafverteidiger in der BRD, diese Flut von Ablehnung der Anträge habe ich noch nicht erlebt.

Neben den gravierenden Verstößen gegen geltendes Recht geschehen bei diesen Prozessen Dinge, die im Normalfall sofort geahndet werden müßten: Bei der Verurteilung einer Juristin erklärt der Vorsitzende Richter: »Es ist erschwerend für Sie, daß Sie bei einem Juden gelernt haben.« Diese antisemitische Äußerung darf heute ein Vorsitzender Richter machen! In einer Verhandlung in Potsdam erklärt der Vorsitzende, als vom Zeugen die UN angeführt wird: »Die hat schon vieles beschlossen, gesagt und widerrufen.« Da spricht die deutsche Überheblichkeit aus dem Talar!

Das Resümee aus dem hier Gesagten: Die Staatsanwaltschaft und die Gerichte begehen in den Prozessen gegen die DDR-Hoheitsträger Rechtsbeugung am laufenden Band und geben das als rechtsstaatliches Handeln aus. Der Bundestag ist hier gefordert. Er muß politische Klarheit schaffen! Es muß Schluß gemacht werden mit der politisch motivierten Strafverfolgung von Bürgern der DDR, die auf der Grundlage ihrer Verfassung nach Recht und Gesetz gehandelt haben.

Klaus Feske 13351 Berlin

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!