Billigflieger werben gegenwärtig mit preiswerten Flügen nach Bratislava, Ljubljana und Tallinn. Investoren haben Wroclaw, Szczecin und Kaliningrad längst als attraktive Standorte entdeckt. In slowakischen, tschechischen und slowenischen Städten finden internationale Sportwettkämpfe von Format statt. Und US-Präsident George Bush traf sich kürzlich mit seinem russischen Amtskollegen in der Donaustadt Bratislava.
Wenn Nachrichtenagenturen, Zeitungen und Rundfunkstationen über solche Ereignisse berichten, verwenden sie genau wie die Reiseveranstalter die landeseigenen Städtenamen. Deutsche Schüler könnten allerdings ein Problem haben, diese Nachrichten, Sportberichte und Tourismuswerbung zu verstehen. Denn in ihren Schulbüchern und Atlanten, aber auch in den Materialien für Geographielehrer heißen diese Städte anders: Die slowakische Hauptstadt heißt »Preßburg«, so der offizielle Name bis 1919, als sie Teil der österreichischen k.u.k.-Monarchie war. Litauens Hauptstadt Vilnius trägt in deutschen Schulbüchern den alten deutschen Namen »Wilna«, die estnische Metropole heißt »Reval« statt »Tallinn«, und Sloweniens Hauptstadt »Laibach« statt »Ljubljana«. Lernen Schüler europäische Hauptstädte, dann lernen sie auch die alten deutschen Namen. Diese Lehrmaterialien befähigen allenfalls künftige Historiker unter den Schülern, alte Quellen zu lesen. Zur Orientierung in Osteuropa verhelfen sie nicht. Kein Wegweiser in Slowenien führt nach Laibach oder in Estland nach Reval.
Hinter vorgehaltener Hand halten selbst einige Schulbuchverlage die Bezeichnungen für nicht mehr zeitgemäß. Offen sagt das kein Verlagshaus. »Wir richten uns nach einer Verordnung der Kultusministerkonferenz von 1991«, lautet das offizielle Statement einer Sprecherin des Ernst Klett-Verlages in Stuttgart, der Lehrmaterialien für den Geographieunterricht herstellt.
Die Verordnung verpflichtet Produzenten von Unterrichtsmaterial »entsprechend den internationalen Gepflogenheiten die herkömmlichen deutschen Namen« für Städte außerhalb der Bundesrepublik zu verwenden. »Unter Zusatz des landeseigenen Namens«. Der Zusatz kann aber wegfallen, wenn die Schulbücher und Atlanten dadurch an Übersichtlichkeit verlieren. So verfahren alle Schulbuchverlage. Eine Schule, die einen zeitgemäßen Schulatlas bestellen will, wird auf dem Markt keinen finden.
Die Geschäftsstelle der Kultusministerkonferenz lehnt eine Stellungnahme zu dieser Verordnung ab. Doch die Beschlusslage ist gültig. Die 14 Jahre alte Verordnung wurde 1993 noch einmal wiederholt. Und 1997 fand ein Antrag von Brandenburg, die Regel einfach umzukehren, indem man die einstmaligen deutschen und österreichischen Städte in der jeweiligen Landessprache bezeichnet und die deutschen Namen als Zusatz in Klammern anbietet, keine Mehrheit. »Nach intensiver Aussprache« unter den Vertretern aller Bundesländer, so heißt es aus dem Brandenburger Bildungsministerium, sei es bei der bisherigen Regelung geblieben.
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