EBB »Ich muß meine Frau umbringen«
Männergewalt forderte letztes Jahr 61 Todesopfer Von Carl-Georg Böge, Madrid
Seit Jahren eskaliert in Spanien die Gewalt gegen Frauen. Spektakuläre Fälle machten sie jetzt zum Thema in den Massenmedien.
ND-Karte: Wolfgang Wegener
Ich gehe nach Hause, ich muß meine Frau umbringen.« Mit diesen Worten verabschiedete sich am Silvesternachmittag der 55jährige Landwirt Jose Rodriguez Rangel in dem südwestspanischen Ort Almendralejo (Region Estremadura) von seinen Zechkumpanen in einer Bar Minuten später starb Josefa Diaz Narra (50), mit der Rodriguez seit 30 Jahren verheiratet war, durch einen Schuß in die Brust.
Josefa war das 61. Todesopfer der Gewalt spanischer Männer gegenüber ihren (Ex-)Frauen oder Verlobten im Jahr 1997 Wie ein26jähriger aus Madrid, der Tage zuvor seine Exverlobte erstochen hatte, brachte sich Rodriguez anschlie-ßend selbst um.
Diese Bluttaten zum Jahresausklang veranlaßten die Frauenreferate aller Parteien, in andalusischen Städten Demonstrationen für ein Ende der Gewalt gegen Frauen zu organisieren. Die Parteien des Madrider Nationalparlaments forderten Strafrechtsänderungen. Äußerungen aus der Regierung, wichtiger als Gesetzesänderungen sei die Beseitigung der sozialen Ursachen der Gewalt in Familien, stießen
auf entrüstete Reaktionen: Solch ein Herangehen würde es bei Verbrechen gegenüber Männern niemals geben!
Die jährlichen 16 000 Anzeigen wegen Mißhandlungen von Frauen seien lediglich »die Spitze eines Eisbergs der Situation, in der viele Spanierinnen leben«, äußerte eine Abgeordnete der Regierungspartei Partido Populär Das Problem ist nicht neu, die Zahl der »denuncias« stieg 1996 nach Auskunft des spanischen Sozialministeriums »lediglich« um zwei Prozent.
Aber seitdem Mitte Dezember Ana Orantes aus Grenada, die kurz zuvor im Fernsehen über jahrelange Mißhandlungen berichtet hatte, von ihrem Mann an einen Stuhl gefesselt und lebendig verbrannt worden war, tauchen die Meldungen von Gewalt und Mordversuchen gegen Frauen regelmäßig in den nationalen Nachrichten auf.
Während der konservative Vizepremier Francisco Alvarez Cascos die Verbrennung von Orantes als nicht für eine allgemeine Diskussion geeigneten »Einzelfall« betrachtet, stellen Politiker und vor allem Politikerinnen aller Parteien und Gewerkschaften nicht zuletzt an die Justiz die Frage: Warum zwang das Trennungsurteil Orantes, weiterhin mit ihrem Peiniger unter einem Dach zu leben? Warum gab es für die am Silvestertag erschossene fünffache Mutter Josefa Diaz Narra keinen Schutz, obwohl jeder im Ort wußte, daß sie seit Jahren von ihrem
trinkenden Mann mißhandelt wurde und ein Gerichtsbescheid am letzten Tag des alten Jahres diesen aufforderte, unverzüglich das gemeinsame Haus zu verlassen? Was nützen die von der Regierung wiederholten Aufforderungen an die Frauen, Gewalt anzuzeigen, wenn sie anschließend mit der Wut ihrer denunzierten Peiniger allein gelassen werden?
Wenn auch die jetzt entfachte Debatte die Ordnungskräfte zu schnellerem und entschlossenerem Eingreifen animiert und die Diskussion über neue gesetzliche Instrumentarien anläuft: Das Medienecho der spektakulären Fälle von Gewalt gegen Frauen scheint weniger die Opfer als die Täter in die Offensive zu treiben. Mehr als eine offenkundig mißhandelte Frau zog die Anzeige verängstigt zurück. Bekannt wurden Fälle einer neuen Einschüchterungsmethode: »Paß nur auf, sonst zünde ich dich an wie der aus dem Fernsehen «
In den ersten Tagen des neuen Jahres aber zeigten Polizei und Justiz, daß es durchaus ein Instrumentarium gibt. Gleich mehrere Männer, die ihre Partnerinnen verprügelt hatten, wurden ins Gefängnis gesteckt.
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