- Politik
- Jochen Steffen - Biographische Skizzen
Der Vater des Kuddel Schnööf
Nicht jeder ND-Leser wird sofort wissen, wer der Autor war, der in diesem Buche auf sein Leben und auf die Geschicke der Arbeiterbewegung in der Bundesrepublik zurückschaut. 1922 in einer Beamtenfamilie in Kiel geboren, hatte Jochen Steffen schon als Gymnasialschüler Kontakte zu Vertretern der Arbeiterbewegung geknüpft. Er kam als entschiedener Antifaschist aus dem Kriege zurück, Dienstgrad Obergefreiter 1946 trat er der SPD bei, der er 1979 enttäuscht den Rücken kehrte. Dazwischen liegt eine Parteikarriere, in der er es - obwohl häufig als Querdenker Mißfallen erregend zum Chefredakteur, zum Landesvorsitzenden der Jungsozialisten, zum Landesvorsitzenden der SPD in Schleswig-Holstein und zum Fraktionsvorsitzenden und Oppositionsführer im Landtag brachte. In den letzten Jahren, die er meist in Österreich verlebte, tat er etwas, was Politiker ansonsten nur unfreiwillig vollbringen: Er betätigte sich als Kabarettist. Die von ihm geschaffene Figur des Werftarbeiters Kuddl Schnööf wurde 1978 mit dem Deutschen Kleinkunstpreis gewürdigt. Jüngst im Agimos Verlag erschienen
sind noch unveröffentlichte, im Nachlaß gefundene Geschichten von Kuddl Schööf. Steffen verstarb 1987 in Kiel.
»Personenbeschreibung« ist keine durchgängige Autobiographie. Es enthält autobiographische Texte, vor allem Erinnerungen an Kindheit, Jugend und politisches Erwachsenwerden; mit eigenen Erinnerungen vermischte kritische Betrachtungen über Herbert Wehner und Gerhard Stoltenberg sowie zwei ausführliche Interviews, in denen er vor allem nach seinen politischen Überzeugungen, Erfahrungen und Konzepten befragt wurde. Einiges von dem, was in Steffens eigenen Texten offenbleibt, hat sein Sohn als Herausgeber in einer Einleitung und einem Anhang mit Lebensdaten hinzugefügt. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Siegfried Lenz, der Jochen Steffen sehr verbunden war, rundet das Bild ab.
Soweit das Buch »echte« Lebenserinnerungen bietet, erweist sich Steffen als ein vorzüglicher Schilderer des sozialen und politischen Milieus, seiner Anverwandten und seiner Zeitgenossen. Das eingestreute Plattdütsch gibt dem Ganzen nicht nur die Farbe seiner schleswig-holsteinschen Heimat, sondern erweist sich auch als trefflich geeignet, politische Aussagen auf den Punkt zu bringen. Es ist glaubwürdig, wenn der Autor für sich in
Anspruch nimmt, in all seinen Funktionen immer den Gedankenaustausch mit anderen gesucht und nie die Bindungen zu seinen Genossen und Wählern verloren zu haben. So vermag er einfühlsam Motivationen und Denkweisen von Sozialdemokraten, Kommunisten, USPD-Leuten, Gewerkschaftern, von überzeugten Funktionären der Arbeiterbewegung wie von Partei- und Gewerkschaftsbürokraten, aber auch von Menschen aus dem bürgerlichen Milieu nachzuzeichnen.
Sozial und solidarisch - das beschreibt wohl Steffens Grundhaltung. Er rückte nicht von der Marxschen Erkenntnis ab, daß der Mensch ein sich selbst entfremdetes Wesen ist. Was ihn vor allem aufbrachte und auch in Widerspruch zur eigenen Partei geraten ließ, das waren zum einen die restaurativen Züge in der Entwicklung der BRD und zum anderen das Ignorieren der Gefahr, die mit der systematischen Zerstörung der Natur heraufbeschworen wird. Seine Kritik an Bonn hat Steffen auf folgenden Nenner gebracht: »1. Eine Besinnung auf das Geschehene und auf die künftigen humanen Werte, die die kommende Entwicklung zu bestimmen hatten, fand nicht statt. Es vollzog sich auf der Basis des Geschehenen eine äußerliche Anpassung... Alles im westlichen Bündnis<, natürlich. 2. Die
neue Führungsschicht war die alte. Abgängig waren die schon belasteten Neuzugänge des >Dritten Reichest Diese Lükken wurden gefüllt durch Nachrücker aus der >Kriegsgeneration<, die den etablierten Schichten aus >Besitz und Bildung< entstammten. In ihrer Mehrheit war diese Führungsschicht menschlich, moralisch schwer korrumpiert.« (S. 123.)
Noch bevor eine »neue Ostpolitik« offiziell verkündet war, hatte Steffen ein neues Verhältnis zwischen der BRD und der DDR eingefordert. Noch ehe es die Partei der Grünen gab, hatte er die Umweltproblematik thematisiert. Seine Kritik an der SPD wurde harscher. Manche vermuteten in Steffen schon den Begründer einer neuen Linkspartei, aber so weit wollte er denn doch nicht gehen.
Der Leser muß sich allerdings darauf einstellen, daß ihm mehr generelle Reflexionen und Impressionen geboten werden, als Auskünfte über zentrale Ereignisse und Vorgänge. Und da kommt es auch schon mal vor, daß der preußische mit dem sächsischen Volksentscheid verwechselt wird. Wer indes etwas von der Vielfalt der deutschen Linken erhaschen möchte, tut gut daran, zu diesem Buche zu greifen.
^ chon vor Eröffnung des geheimen ProkJzesses, Mitte Mai 1737, stand das Urteil fest: Der Jud soll hängen. Hellmut G. Haasis erzählt gegen Legenden und Verzerrungen die Geschichte von »Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß« (Rowohlt /Reinbek, 478 S., 48 DM).
T Tngewöhnliche Frauenporträts von vJ Katharina von Alexandrien bis Edith Stein und Simone Weil zeichnet die wohl bekannteste Theologin Italiens, Vettina Militello, in »Mütter und Geliebte, Nonnen und Rebellinnen«. »Ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des christlichen Feminismus« preist der Styria Verlag das Buch an (382 S., 58 DM).
Wochenlang zogen im Winter 1937/38 japanische Soldaten plündernd durch Nanking und massakrierten unbewaffnete Zivilisten. Der damals vor Ort tätige Deutsche John Rabe setzte sich für die Opfer ein. Seine erst kürzlich aufgefundenen Tagebücher hat Erwin Wickert ediert: »John Rabe. Der gute Deutsche von Nanking« (DVA, 443 S., 48 DM).
Während seine physikalischen Arbeiten weltweit bekannt sind, weiß man kaum etwas über seine Tätigkeit als Hochschullehrer in Zürich. Charles P Enz, Beat Glaus und Gerhard Oberkofier füllen diese Lücke mit der Dokumentation »Wolfgang Pauli und sein Wirken an der ETH Zürich« (vdf Hochschulverlag Zürich).
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