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  • Politik
  • Das gönnte noch viel schlimmer gomm - Sächsisches mit Halbhuber und Fischer

Spaß mit Hintersinn

  • Anne Mann
  • Lesedauer: 4 Min.

Götterspeise, lilafarbene Unterhosen, Ullrich Meyer, Stroh im Bett - darüber muß man nicht diskutieren. Es ist Geschmackssache. Sächsisch auch. Für alles finden sich irgendwie Anhänger Das ganze Lähm hadd der Diedmar eejall davon gedreimd - un jädds bläddslich ganners machen. Das is ähmd richdehäs Ginsdlergligg, wärgglich. So schrieb »de Vohchdn«, Lene Voigt (1891-1962), das Mundartwunder von der Pleiße. Seit die Brüder und Schwestern Ost mit ihren Westgeschwistern wieder eine glückliche zänkische Familie sind, erfolgt die Besinnung aufs Dialekt(ische)-Erbe.

Die Leipziger Dichterin, den Einheimischen lieb geworden durch den äu-ßerst rustikalen Umgang mit den Figuren der »Glassiger« und durch ihre Kleine-

Leute-Geschichten, unterwandert nun die Berliner Szene. Schlitzohrig und mit Musik wird dem »Oxford-Sächsisch« der Pfad gebahnt.

Nu zu den Ginsdlern: Dietmar Halbhuber und Rolf »Cello« Fischer Halbhuber (der Programmzettel weist ihn als Exil-Sachsen aus) verbrachte die kindliche Hälfte seines Lebens im Großraum Karl-Marx-Stadt/Leipzig, ließ sich bilden, kam dann nach Berlin und trat, unbefangen sächselnd, ins Zentralorgan der FDJ ein. Nach knapp zehn Jahren Redaktion »Junge Welt« fand er leicht dissidentische Liederprogramme und Schafzucht in Mecklenburg befriedigender, in Wendezeiten aber Zeitungsmachen doch wieder ganz gut, war Chef von »Die Andere« bis es anders kam. Arbeitslos, Liederprogramme, Kleinkunstkommando Nord Ost. In all den Jahren trug er stets ein Blatt Papier, gewissermaßen am und im Herzen, mit sich herum: »De Berg-

schaft«, nach Friedrich Schiller von Lene Voigt - jederzeit bereit zum Vortrag und immer wieder entzückt von der umwerfenden Wirkung des Idioms auf die meist überrumpelte Zuhörerschaft. Prägende Grunderlebnisse, die im Verbund mit ungebrochenem Gestaltungswillen schließlich zu einer Idee führten. Aus Quatsch wurde Ernst - so entstehen wahrscheinlich die meisten Unternehmungen. Der Blödelei merkt man die Arbeit selten an. Auftritt des zweiten Mannes: Rolf »Cello« Fischer, Klammer auf Sachsen-Anhalter Klammer zu. Sächsisch gehört nicht zu seinen Stärken, aber er übt. Besser war, wenn nicht, denn aus der hörbaren Distanz entsteht im sorgfältigen Vortrag plötzlich unerwartete Komik, auch eine leise Rührung, so wenn der eine das »Liebeslied vom Infantristen« singt und der andere dazu die Spieluhr dreht. Oder der 12-Zeiler von der kleinen »Gogosbalme« (Kokospalme), die beschließt, mit dem

Wachsen aufzuhören - da winkt von weitem Onkel Morgenstern, flüchtig zwar, aber immerhin.

Anfängliche Lähmung - wenn die Laute sich unerbittlich ins Gehirn bohren weicht der kindlichen Freude, im Sing-Sang vertrauter Worte endlich auch Sinn aufzuspüren. Ein Vorgang, der durch gestenreiche Darbietung eine gewisse Orientierung erfährt. Also Fischer Eigentlich wollte er auf keinen Fall mehr auf die Bühne. Da war er früher gewesen, beim Oktoberklub, im Liedertheater »Karls Enkel«, in der »Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz/Rot«, die er 1996 mitbegründet hat, ebenso »Schnaftl Ufftschik«. Das ist das eine. Das andere: Komponieren von Filmmusik (u. a. für den Max Hoelz-Film), Zusammenarbeit mit Theatern und vor allem mit Wenzel & Mensching. Davon ist das meiste mit uhbolschewistischer Hast in der Marktwirtschaft abgestürzt. Nun also doch wieder auf der Bühne. Lene. Voigt hat ihn interessiert, »wegen des schönen Blödsinns, mehr nicht. Dann hat der Halbhuber noch paar andere Sachen angeschleppt, und da war ich drin.« Fischer und Halbhuber nun, mit Schifferklavier, Gesang, Rezitation, Spieluhr- Lieder, Bal-

laden, Szenen von der Voigt, Musik. Fischer Das Ganze hat gerad mal angefangen und ist von bizarrer Launigkeit. Aber einen Versuch hat schließlich jeder Erbarmungslos wird der feinsinnige Berliner mit dem Charme sächsischer Dramatik (»De Reiwer«, Die Räuber) traktiert, er übersteht eine komplett verballhornte Ballade vom »Ferd mit Fliecheln« (Pegasus), begegnet, wenn er Pech hat, sich selbst im Schwachsinn des ausgewählten Liedgutes - bekommt alles in allem »gleenes Zeich« (kleines Zeug) präsentiert mit dem - auch sozialen - Kolorit der Goldenen Zwanziger und braunen Dreißiger Jahre. Ich widerstehe der Versuchung, das hinreißende Gedicht vom »Bescheidenen Liebhaber« zu zitieren, obwohl: Der Reim von »Brobaganda« auf »Veranda« - das hat was. Der Sinn fürs Höhere geht im Kakao baden - das könnte in trostlosen Zeiten ein wenig Spaß verbreiten. Wie gesagt, alles Geschmacksache. »Das gönnte noch viel schlimmer gomm ... «tröstet der Programmtitel, und trifft damit in jedem Fall ins Schwarze.

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