»Wer die Vergangenheit vergisst ...«

Beim Gedenken an 60 Jahre Befreiung in Bad Gandersheim geht es um alte und neue Nazis

  • Carlo Bleichert
  • Lesedauer: 3 Min.
»Wer die Vergangenheit vergisst, ist verdammt, sie zu wiederholen.« Dieser Satz findet sich auf einer Gedenktafel, die daran erinnert, dass gegen Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem Gelände des Klosters Brunshausen bei Bad Gandersheim ein Außenlager des KZ Buchenwald entstand. Fast 600 Häftlinge aus vielen europäischen Ländern waren hier interniert; sie mussten unter erbärmlichen Umständen in den Heinkel-Werken Teile für Militärflugzeuge herstellen. Dass an die Nazizeit erinnert wird, war im niedersächsischen Bad Gandersheim lange keine Selbstverständlichkeit. In den 70er Jahren begann die örtliche Friedensbewegung, die dunklen Kapitel aus der Geschichte der Kleinstadt im westlichen Vorharz ans Licht zu holen. Ausgiebig wurde etwa über eine Tafel diskutiert, die an die so genannte Kinderpflegestation erinnert. Ab August 1944 war im ehemaligen Sommerschloss Brunshausen eine »Pflegestätte zur Verwahrung der Kinder von Zwangsarbeiterinnen« eingerichtet, wo Frauen aus Polen und der Sowjetunion ihre Kinder zur Welt bringen und nach wenigen Tagen zurücklassen mussten. Mindestens 15 namentlich bekannte Säuglinge und Kleinkinder starben an diesem Ort. Am 8. Mai 1993 wurde schließlich die von Bürgern der Stadt gestiftete Tafel aufgestellt. Ein Jahrzehnt lang, vom Ende der 70er bis zum Ende der 80er Jahre, wurde in Bad Gandersheim schon einmal jeweils am 4. April an die nationalsozialistischen Verbrechen erinnert. Treibender Keil waren damals friedensbewegte Bürger. Nach gut zehn Jahren Pause belebten die örtliche PDS und das Friedensbündnis Bad Gandersheim die antifaschistische Tradition wieder. Zwar lehnte es die Stadt ab, einen symbolischen Betrag in den Fonds für die Entschädigung von Zwangsarbeitern einzuzahlen. Doch ein Weg wurde nach dem französischen Antifaschisten Robert Antelme benannt. Und neben Gedenkveranstaltungen gibt es einen alternativen Stadtrundgang zu Stätten, die mit dem NS-System verwoben waren. Von solchen Orten gibt es eine ganze Reihe. So befanden sich in Bad Gandersheim während der Zeit des Nationalsozialismus mehrere Zwangsarbeiterlager. Auf dem Gelände des Klosters Brunshausen waren sowjetische Kriegsgefangene interniert, später wurde daraus eine Außenstelle des KZ Buchenwald. Am 4. April 1945 schickte die SS die Häftlinge angesichts der heranrückenden US-Truppen auf einen Todesmarsch über Wernigerode und Prag ins KZ Dachau in Bayern. Zuvor waren 40 kranke und schwache Häftlinge in einem Wäldchen ermordet und verscharrt worden. Als US-Soldaten das Konzentrationslager Dachau befreiten, waren von den Häftlingen aus Gandersheim nur noch 150 am Leben. Das Gedenken zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Hitler-Faschismus wird von zahlreichen Organisationen getragen: Friedensbündnis und VVN-BdA, Rosa Luxemburg Bildungswerk und DGB, PDS und SPD, Grüne und die Propstei Bad Gandersheim. Ein Thema des Gedenkens ist der Rechtsextremismus heute. Aus triftigem Grund. Denn Bad Gandersheim und Umgebung sind seit langer Zeit Tummelplatz von Neonazis. Anfang der 70er Jahre fanden hier NPD-Parteitage statt. Die rechtsextremistische »Kameradschaft Northeim« treibt in der Region ihr Unwesen. Der »Freie Mädelbund« firmiert unter einer Bad Gandersheimer Postfach-Adresse. Dieter Riefling, ein ehemaliger Funktionär der inzwischen verbotenen rechtsextremistischen »Freiheitlichen Arbeiterpartei« (FAP) wohnt in der Vorharzstadt. Riefling tritt weiter als Redner bei Neonazis auf - zuletzt vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.