Bäume als Kannibalen

Vor dem herbstlichen Laubfall verwerten viele Bäume die Nährstoffe aus dem Blattgrün

  • Detlef Peltzer
  • Lesedauer: 3 Min.
In diesen Tagen entfalten Parks und Laubwälder ihre intensivste Herbstfärbung. Von grünen Erlen über gelbe Buchen und bereits kahle Rosskastanien ist fast alles zu sehen. Doch warum werden die Blätter so bunt? Aus dem gleichen Grunde wie sie später die ausgetrockneten Blätter abwerfen: Es geht um die ökonomische Ausnutzung des knapperen Sonnenlichts und der Nährstoffe. Im Herbst regen Botenstoffe im Blatt die Bildung eines Korkgewebes an der Blattbasis an. Dieses Gewebe wächst zwischen Zweig und Blattstiel und verschlechtert die Versorgung des Blattes mit Wasser und Nährstoffen. Gleichzeitig wird der grüne Blattfarbstoff abgebaut. Die einzelnen Abbauprodukte werden zurück in die Rinde des Baumes transportiert, denn der Blattfarbstoff Chlorophyll enthält Stickstoff und Magnesium, zwei Stoffe, mit denen der Baum haushalten muss. Und so steckt hinter dem Bunt des Herbstlaubs eigentlich eine Entfärbung. Nach dem Abbau des grünen Blattfarbstoffes bleiben Carotinoide zurück, die zuvor vom Grün verdeckt waren. Im Sommer hatten diese roten und gelben Blattfarbstoffe die Aufgabe, überschüssige Lichtenergie abzufangen und in Fluoreszenzlicht umzuwandeln. Damit schützten sie den Photosyntheseapparat, der das Kohlendioxid bindet, gegen eine zu starke Energiebeladung. Jetzt im Herbst haben sie ihre Aufgabe verloren. Unter Sauerstoffzutritt beim Absterben des Blattes wandeln sich manche Carotinoide in Phaeophytin um, das braun ist. Einige Bäume verzichten allerdings auf das Chlorophyll-Recycling, weil sie weniger unter Nährstoffknappheit leiden. Die Esche etwa wächst nur auf bestversorgten Böden, auf denen an Stickstoff und Magnesium kein Mangel herrscht. Deshalb kann sie es sich leisten, ihre Blätter grün abzuwerfen. Auch Erlen und Robinien, die mit Hilfe von Symbionten den Stickstoff aus der Luft nutzen können, verzichten auf den Aufwand, den grünen Farbstoff in ihren Haushalt zu recyclen. Dabei ist es von Art zu Art verschieden, welche Umweltveränderung das Abwerfen der Blätter auslöst. Manche Bäume werfen die Blätter ab, weil die Tage kürzer werden, andere Bäume reagieren mehr auf die niedrigeren Temperaturen. Die Kirsche zum Beispiel wirft ihre Blätter ab, wenn die Nachttemperaturen mehrere Male eine gewisse Schwelle unterschreiten. Anders die Platane. Sie verliert ihre Blätter erst, wenn sie nicht mehr genug Licht bekommen. So kann man in Städten sehen, dass Platanen selbst im November noch auf der einer Straßenlaterne zugewandten Seite grün sind, während die Kronenseite, die nachts nicht künstlich beleuchtet wird, bereits kahl ist. Auch bei der Buche bestimmt die Tageslänge den Laubfall. Die Kurzlebigkeit der meisten Laubblätter hat entscheidende Vorteile gegenüber den immergrünen Nadeln. Ein kahler Baum hält Winterstürmen besser stand, aber wichtiger noch ist der geringere Wasserverlust im Winter, der Nadelbäumen in der zweiten Hälfte des Winters oft so stark zusetzt, dass sie mit braunen Nadeln in den Frühling kommen.

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