- Politik
- Prof. Dr. Senta Trömel-Plötz über »Erwachsene und Frauen«, weibliche Genies und Sprachstrategien
Wirklichkeit«
» Sprache schafft
ND-Foto: Burkhard Lange
Senta Trömel-Plötz gilt als »Mutter der feministischen Linguistik« im deutsprachigen Raum. Sie veröffentlichte bisher »Vatersprache - Mutterland« (Verlag Frauenoffensive, München), »Frauensprache: Sprache der Veränderung«, »Gewalt durch Sprache« und »Frauengespräche: Sprache der Verständigung« (alle drei Fischer Taschenbuch Verlag)
? Frau Trömel-Plötz, warum arbeiten Sie in den USA und nicht mehr in Deutschland?
Dort war die Situation einfach besser für mich. Ich war allein mit drei Kindern, und das deutsche Schulsystem macht es so einer Frau unmöglich, berufstätig zu sein: Wir haben keine Ganztagsschulen, und wenn wir sie hätten, wüßte ich nicht, ob man seine Kinder mit gutem Gewissen dort hingeben könnte. Ich denke, zwei meiner Kinder wären hier zerstört worden -- aus unterschiedlichen Gründen: Mein mittlerer, sehr kreativer Sohn wäre zurechtgestutzt worden, zugerichtet auf die deutschen Tugenden Ordnung, Pünktlichkeit, Sauberkeit; mein ältester Sohn, der. sehr hart arbeitet, hätte sich hier zu Tode gearbeitet. In den USA war er einer von vier Schülerinnen und Schülern, die in den letzten vier Oberschuljahren nur Einser hatten. In Deutschland müssen Einser unerreichbar sein! Unsere Bewertungen enthalten auch keine Kategorie soziale Fähigkeiten, und wir können nicht loben.
? Warum sind wir Deutschen so?
Wir geben weiter, was wir Böses empfangen haben. Also müssen die Kinder durch die harte Schule des Lebens gehen. Das ist inhuman, Alice Miller schreibt darüber Wenn ich sehe, wie Kinder in den USA beschützt werden - solange sie klein sind, kriegen sie in der Schule zu essen und Schlaf, im College dann ein schönes Dach über dem Kopf und Mahlzeiten, von denen Studenten und Studentinnen hier nur träumen können das geht wirklich tief. Während wir unsere Kinder aussetzen. Das gleiche tun wir mit den Arbeitslosen, mit den Alten.
? Sie lieben Deutschland nicht? Von Liebe kann keine Rede sein.
? So heißt einer Ihrer Texte.
Ja, meine Abrechnung mit Deutschland. Was bin ich Deutschland schuldig, und was ist Deutschland mir schuldig geblieben? Eine Kindheit ohne Bombenangriffe, ohne Kinderleichen auf Schulbänken, ohne Zwangsarbeiterinnen, die um Salz bettelten, eine Kindheit ohne Angst am Morgen, daß ich abends meine Eltern nicht wiedersehe. Das ist Deutschland mir damals schuldig geblieben. Und was bleibt mir Deutschland heute schuldig? Die Sicherheit, daß es nicht mehr beiträgt zum nächsten Krieg, daß es nicht mehr mitwirkt, daß es für meine Kinder eine Zukunft ohne Angst vor atomarem Desaster gibt. Die Sicherheit, daß das überhaupt ernsthafte Anliegen deutscher Politik sind.
? Trotzdem wurden sie die »Mutter der feministischen Linguistik« im deutschsprachigen Raum. Feministische Linguistik - was ist das überhaupt?
Der Begriff stammt von meiner Freundin und Kollegin Luise Pusch. Aber ich muß etwas ausholen: 1978 hatte ich einen Artikel »Linguistik und Frauensprache« geschrieben und darin aufgezeigt, daß die deutsche Sprache, genau wie andere Sprachen, sexistisch ist. Was sofort ein bis dahin unbekannter Sprachwissenschaftler bestritt. Darauf verteidigte mich Luise in der gleichen Zeitschrift mit ihrem Artikel »Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, doch weiter kommt man
ohne ihr«. Das waren in Deutschland die beiden ersten Artikel über feministische Linguistik. Ich weiß noch, wie Luise auf den Begriff kam: Es war bei mir in der Wohnung. Wir waren Linguistinnen, wir wurden Feministinnen, und nun wollten wir beides in unserer Arbeit zusammenbringen. Aber plötzlich wurde das, was wir nun beide produzierten, als »unwissenschaftlich« abgewertet - obwohl wir bis dahin als anerkannte Wissenschaftlerinnen galten. In meinem Fall war das Argument: Ich mache keine Linguistik, sondern Politik.
? Das machen Sie ja auch: Sie forschen nicht über, sondern für Frauen.
Die von Männern begründete amerikanische Linguistik verstand sich traditionell als politisch. Sie setzte sich von der Philologie, der Wissenschaft von Texten, ab. Ihre Begründer waren anthro-
pologische Linguisten wie Sapir und Bloomfield, die Indianersprachen untersuchten um nachzuweisen: Diese Sprachen und Weltsichten und Philosophien waren genau so gut, genau so gültig und genauso so viel wert wie westliche ...
Als in Deutschland amerikanische Linguistik übernommen wurde, wurde sie entpolitisiert. Und als wir die Frage nach den Auswirkungen des Geschlechts auf die Sprache stellten, wurde es lächerlich gemacht. Heute gibt es feministische Linguistik an deutschen Hochschulen kaum noch. Das heißt jetzt »linguistische Frauenforschung« oder »Gender Studies« das ist den Herren noch lieber, dann sind sie das Wort »Frau« ganz los.
? Sie schreiben, »women's studies« in »gender studies« umzubenennen sei, als würde man »black studies« in »black and white studies« umbenennen.
Genau. Nur bei Frauen findet das niemand absurd, auch nicht die Frauen selbst.
? »Der Hinweis auf sprachliche Ungleichheit deckt sehr schnell gesellschaftliche Ungleichheit auf« - einer Ihrer Sätze. Inwiefern werden Frauen durch Sprache diskriminiert?
Obwohl die deutsche Sprache, im Gegensatz zur englischen, über weibliche Formen verfügt, werden sie selten angewendet. Das heißt: Frauen werden nicht benannt, nicht mitgedacht, vergessen gemacht. Und selbst bei Neutren wie Deutsche, Erwachsene, Menschen wirkt der Mechanismus der männlichen Interpretation. Alles ist so lange männlich, bis das Gegenteil bewiesen ist. An der Kasse eines deutschen Sportplatzes las ich: »Erwachsene fünf Mark, Frauen und Kinder frei.« Das Korollar dieser Interpretationsregel: Selbst wenn etwas anderes bewiesen ist, wird immer noch die männliche Form benutzt. In meinem dritten Verlagsvertrag mit dem Fischer-Taschenbuch Verlag stand: »Zwischen Frau Professor Dr Senta Trömel-Plötz, nachstehend Verfasser genannt ...« Das ist natürlich nicht außergewöhnlich. Auffallend wäre nur- »Zwischen Herrn Henri Nannen, nachstehend Verfasserin genannt ...« Er hätte den Vertrag wahrscheinlich zurückgewiesen und korrekte B enennung. verlangt.
? Dies sind krasse Beispiele, und ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie die im deutschen Osten gefunden haben.
Nehmen Sie das Wort Genie, eindeutig ein neutrales Wort, und fragen Sie auf der Straße, von mir aus im Osten, nach fünf Genies: Sie werden ausschließlich Männer genannt bekommen.
? Fallen Ihnen denn auf Anhieb fünf weibliche Genies ein?
Marie Curie, Irene Joliot-Curie, Emmy Noether, Lise Meitner, Mileva Einstein-Marie, Bertha von Suttner, Rosa Luxemburg, Ingeborg Bachmann, Toni Morrison, die Entwicklungsbiologin Christiane Nüsslein-Volhard ...
? Das sind schon zehn.
Es gibt viel mehr. Aber gegen die männliche Interpretation, die männlichen Formen, die verbale Geringschätzung von Frauen können wir uns nur schwer wehren. Sie sind ganz tief in unserer Sprache und in unserem Denken verankert. Einmal sah ich einen Fernsehfilm über Frida Kahlo. Nach den ersten paar Nennungen fiel der Nachname weg - die Künstlerin wurde familiär zu Frida. Zum Vergleich: Wäre es möglich, einen Film über Pablo Picasso zu machen und ihn nach den einleitenden Sätzen mit Pablo zu titulieren? So vertraut ist er uns nicht, auch wenn wir seine Werke gut kennen. Ist Frida Kahlo uns so vertraut?
? Sie sagen: »Sprache bildet Wirklichkeit nicht nur ab, sondern schafft und schreibt sie auch immer wieder fest.« Kann eine von Frauen definierte Sprache tatsächlich Wirklichkeit verändern?
Ja, Sprache hat praktische Konsequenzen. Wenn Sie ganz allgemein zu einem Seminar einladen, werden andere Leute kommen, als wenn Sie ausdrücklich schwarze Frauen einladen. Die würden im ersten Fall wegbleiben, weil sie sich nicht angesprochen, nicht erwünscht fühlen. Also schafft Sprache auch Wirklichkeit. Sie braucht nicht hinter der Realität herzuhinken, sondern kann ihr auch ein Stück voraus sein und damit eine neue Realität ermöglichen. Wenn beispielsweise bei hohen Funktionen und Rängen immer die weibliche Form mitverwendet wird, lernen wir ganz automatisch, uns Frauen in diesen Positionen vorzustellen, und das wäre vor allem bei Mädchen, Schülerinnen, Studentinnen bedeutsam für ihr Selbstbild, Selbstvertrauen, für ihre Berufswünsche. Heute hören sie immer wieder, daß jüngere Männer an die Spitze der Politik nachwachsen müßten, daß ein neuer Mann für ein hohes Amt gesucht wird, daß die Spitzenmänner der Wirtschaft sich tra-
fen, daß eine Partei einen Kanzlerkandidaten sucht, daß die Väter des Grundgesetzes geehrt wurden, daß die Richter des Obersten Gerichtshofes entschieden ... Das klingt nicht gerade ermutigend.
? Frauen sprechen anders als Männer. Können Sie sagen, wie?
In Gesprächen sind Frauen beziehungsorientiert, das heißt, sie stellen eine menschliche Verbindung her und nehmen auf andere Bezug. Sie fühlen mit und verstehen, schaffen direkten affektiven Kontakt, bestätigen die anderen, fördern deren Entwicklung, vergrößern deren Macht. Meßbar an den Redezeiten, die sie sich nehmen, an unterstützenden Minimalreaktionen, die sie geben, am Eingehen auf Themen anderer, an der geringen Zahl von Direktiva, Unterbrechungen, Kritiken.
? Das Gegenteil wären Ichbezogenheit, Selbstdarstellung, die Entwicklung der anderen bremsen, Statusdemonstration, Abwertung, die eigene Macht vergrößern - sind das wirklich männliche Eigenschaften oder einfach Eigenschaften der Mächtigen, die gegebenenfalls auch Frauen annehmen?
Die Mächtigen sind Männer, auch wenn nicht alle Männer mächtig sind. Sie waren es Jahrhunderte lang, und sie sind es noch. Natürlich können sich auch Frauen, wenn sie in eine Machtposition kommen, die Sprache der Mächtigen aneignen. Der Trend ist aber gegenläufig: Immer mehr Topmanager lassen sich weibliche Sprachstrategien beibringen. Sobald man eine positive Eigenschaft isoliert hat, kann man sie auch ausbeuten. Die weibliche Fähigkeit, einfühlend und schonend zu reden mit dem Ergebnis, daß mehr Information fließt, wird ja jetzt auch vom Fernsehen genutzt, das immer mehr Talkmeisterinnen einsetzt. Auf den Chefetagen finden wir aber immer noch keine Frauen.
? Sie haben Frauensprache nicht immer so positiv gesehen.
Die Stärken waren lange unsichtbar für mich. Wir hatten bis dahin immer nur die Niederlagen von Frauen in Gesprächen mit Männern untersucht. Sie hatten keine Chance, sich durchzusetzen, und sie haben auch heute noch keine, wenn Männer nicht wollen.
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%«Ein typisches Merkmal der Frauensprache sind Frägesätzä.
Pamela Fishmann hat das untersucht und festgestellt: Frauen stellen so viele Fragen. Und sie hat selbst gefragt: Ja, können denn Frauen nichts anderes tun als Fragen stellen? Und dann war sie die erste Forscherin, die eine strategische Erklärung fand. Nämlich: Wenn Frauen ihr Thema in Form einer Frage einführen, haben sie größere Chancen, das Thema als Gesprächsthema durchzubringen. Weil die Frage ein sehr starkes konversationelles Mittel ist: Alles nach der Frage gilt als Antwort, auch das Schweigen. Auf eine Frage muß ich antworten.
? Fragen können auch Unsicherheit ausdrücken. Wopei die ewigen Sicherheiten ja auch schlimm sind.
Ja, aber wir müssen genau hingucken, was für eine Frage gestellt wird. Um ein Beispiel von Robin Lakoff zu nehmen: Die Mutter kocht das Essen, das Kind kommt rein und sagt: »Wann gibt's das Abendessen?« Und die Mutter sagt: »Vielleicht um sechs?« Ja, weiß die nicht mal, wann das Essen, das sie gerade kocht, fertig ist! Aber jetzt gucken wir hin, was bedeutet denn das, »Vielleicht um sechs?« Das bedeutet viel! Natürlich weiß sie, wann das Essen fertig ist, aber für das Kind heißt das: Wenn es dir recht ist, wir können das noch verhandeln, vielleicht hast du was Wichtigeres vor, kann auch später sein. Es ist etwas anderes, als wenn ich sage, um sechs bist du am Tisch.
Fragen, die von Frauen kommen, hören wir auch häufig anders. Es gibt eine Untersuchung, die belegt, daß auch rethorische Fragen, die eine Frau stellt rhetorische Fragen sind ja Behauptungen - als echte Fragen gehört werden. Oder eine Frau und ein Mann machen einen fast identischen Einwurf: »Dürfte ich auch schnell noch was sagen.« Bei der Frau hört es der Moderator als Bitte ums Wort und erteilt ihr die Redeerlaubnis, beim Mann schweigt er und konstruiert es so, daß der Mann sich das Wort genommen hat.
? Sie waren im Frühjahr auf einer Vortragsreise in Sachsen-Anhalt. Wie waren Ihre Eindrücke?
Ich hatte noch nie so wenig Zuhörerinnen.
? Ich denke, daß wir in der DDR einen Gleichstellungsvorsprung besaßen. Es gab jede Menge Wissenschaftlerinnen, Lehrerinnen, Arztinnen, Richterinnen, und wir hatten alle Arbeit.
Na, daß sie jetzt keine mehr haben, müßten sie inzwischen gemerkt haben.
Interview: Christina Matte
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