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Glücksspiel mit Atomabfällen

Nukleartechniker machte Millionen und blieb jetzt in der Steuerschraube stecken Hessen/Bayern

  • Lesedauer: 5 Min.

Von Claudia Peter, München

Atomaren Abfall zu entsorgen, ist eine teure Sache. Kein Wunder, daß nach Wegen gesucht wird, das strahlende Zeug auf billige Art und Weise loszuwerden - und sich dabei eine goldene Nase zu verdienen.

Es muß ein schönes Leben gewesen sein. Ein schnelles Auto, Kurzurlaub auf den Malediven mit der ganzen Clique, Geld im Immobilienfonds ... Mehr als fünf Millionen Mark hat der Nukleartechniker Johann C. binnen weniger Jahre auf den Kopf gehauen. Steuern zahlen hielt er für unnötig. Wegen Steuerhinterziehung machte das Landgericht Würzburg dem Jetset-Leben ein Ende. Es verurteilte den heute 36jährigen Ende April zu drei Jahren und zehn Monaten Haft.

C. war ein gesuchter Fachmann im Abbruch von Atomanlagen. Sowohl bei der Siemens-Brennelementefabrik in Hanau (Hessen) als auch im unterfränkischen Karlstein (Bayern) beaufsichtigte er bis 1998 die Abrißarbeiten. Deswegen interessiert sich jetzt der Bundesverband Bür-

gerinitiativen Umweltschutz (BBU) für die Herkunft der Millionen. Schließlich, so BBU-Vorstandssprecher Eduard Bernhard, liege das durchschnittliche Jahreseinkommen des Atomtechnikers doppelt so hoch wie das des Bundeskanzlers.

C. hatte in dem Abbruch-Geschäft eine Schlüsselstellung inne. Er erhielt seine Aufträge von der Baumann Nuklearservice GmbH aus St. Leon-Rot bei Heidelberg. Diese Firma war zuständig für die »Freimessung« und den Abriß der Bauteile. Die Messungen entschieden darüber, ob der Bauschutt als nicht beziehungsweise leicht, mittel oder hoch radioaktiv belastet zu gelten hatte. Der Unterschied macht bis zu mehrere Millionen Mark für die Betreiber aus. Unbelastetes Material kann für ein paar Hunderter pro Tonne auf normalen Bauschutt-Deponien gelagert werden. Übersteigt die Radioaktivität hingegen die festgelegten Grenzwerte, muß das Unternehmen den Abraum auf eigene Kosten Zwischenlagern, an atomrechtlich kontrollierte Unternehmen zur Verwertung weitergeben oder in das einzige deutsche Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfallstoffe in Morsleben (Sachsen-Anhalt) transportieren lassen. Dort kostet die Ab-

gabe 12 500 Mark pro Kubikmeter

Material, das den Kontrollbereich der Hanauer Atomanlagen verläßt, wird mindestens dreimal auf seine Radioaktivität überprüft. Zunächst mißt der zuständige Techniker, dann die Projektleiter der Siemens AG und schließlich der TÜV Dennoch, so fürchtet Bernhard, könne auch Material durch die Kontrollen geschleust werden, das die zulässigen Grenzwerte überschreitet. Man müsse es nur in einem Shredder zerkleinern und dann mit nicht oder schwach strahlendem Bauschutt oder Erdreich vermengen, bis die Gesamtstrahlung unterhalb der kritischen Grenzen liegt. Tatsächlich befindet sich ein solcher Shredder seit Jahren auf dem Siemens-Betriebsgelände in Hanau. Mindestens drei Monate lang im Jahre 1996 war die Anlage in Betrieb - ohne Wissen und Genehmigung des hessischen Umweltministeriums. Verantwortlich für das ?Gerät war - Johann C. Im Oktober 1996 entdeckten Beamte der Atomaufsicht die Shredderanlage und veranlaßten deren sofortige Stillegung. Erst seit Mai dieses Jahres läuft sie wieder, im Probebetrieb und mit ordentlicher Genehmigung.

Für Johann C. gehört eine solche Anlage zum »Normalbetrieb« auf der Atom-

Baustelle. Schließlich müsse der Abraum klein und konsistent sein, um als »endlagerfähig« zu gelten, erläuterte er in einem Zeitungsgespräch. Die Steuerhinterziehungs-Vorwürfe räumte er weitgehend ein, bis auf die Höhe der Summe. Diese beruhe lediglich auf Schätzungen des Finanzamts. »Die haben ein besonders gutes Jahr genommen, und dann hochgerechnet«, sagte er Diese Methode hat C. der eigenen Schludrigkeit zu verdanken. Rechnungen seiner Auftraggeber hat er nie aufbewahrt. Für Christian Küppers vom Ökoinstitut Darmstadt hört sich diese Erklärung »seltsam« an. Belege für »ordentliche Aufträge« müßten rekonstruierbar sein, meint der Atomexperte, entweder bei C.s einzigem Auftraggeber, der Firma Baumann Nuklearservice oder direkt bei Siemens. Die veranschlagte Höhe der Einkünfte hält auch er für »ungewöhnlich«. Doch C, dem der Staatsanwalt sogar sechs Jahre Haft androhte, versuchte nicht, die Vorwürfe zu entkräften. Statt dessen nahm er das Urteil widerspruchslos an. Dabei hat es auch seine berufliche Perspektive zerstört. Denn aufgrund einer Ende Mai begonnenen Sicherheitsüberprüfung entzog ihm das hessische Umweltministerhim am

15. Juli die atomrechtlich notwendige Bestätigung der Zuverlässigkeit. Weshalb die Behörde zu diesem Ergebnis kam, will Sprecherin Renate Gunzenhauser »aus Datenschutzgründen« nicht preisgeben. Doch normalerweise genügt eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung nicht, betont sie. Auch sei atomrechtlich »uninteressant«, woher C. das Geld hatte. »Wir konnten nur tätig werden, weil Siemens uns selbst das Urteil gemeldet hat.«

Das bayerische Umweltministerium, das für den unterfränkischen Standort Karlstein zuständig ist, kennt hingegen weder die Firma Baumann noch den Steuerfall C. Das Dementi ist nur konsequent. Im Gegensatz zu Hessen entschied sich Bayern bei der Genehmigung des Abbruchs der Siemens-Anlagen in Karlstein, keinerlei öffentliche Anhörungen zuzulassen.

Helmut Rupar, Werkleiter bei Siemens in Hanau, bestätigt dagegen, daß die Firma Baumann und C. auch in Karlstein tätig gewesen seien. Allerdings zu »marktgängigen Preisen«. Wie C. fünf Millionen Mark verdienen konnte, ist daher auch Rupar schleierhaft. Allerdings bietet er eine innovative Erklärung: »Vielleicht hat der C. ja beim Glücksspiel gewonnen.« Der BBU will weiterhin versuchen, Licht ins Dunkel dieses Steuerfalls zu bringen. Nach den Worten von Bernhard überlegt sich die Organisation, Strafanzeige zu erstatten, wegen des Verdachts auf Verstöße gegen atomrechtliche Bestimmungen und Bestechlichkeit.

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