- Politik
- Günter Gaus befragte Helmut Kohl
Verbaler Clinch
Der Kanzler war - wie ein guter Boxer - bestens auf den Gegner eingestellt. Von der ersten Minute des Gesprächs »Zur Person« am Mittwoch abend im ORB wollte er deutlich machen, daß er der Herr im Ring ist. So kokettierte er gleich bei Günter Gaus' Eingangsfrage mit seiner gewachsenen Medienroutine und schwenkte ungesäumt auf den Wahlkampf ein: »Gerade in diesen Wahlkampfzeiten merken es die Leute. Sonst wäre ja der Zustrom von Tausenden nicht so.« Als der Interviewer darauf gerade diese Routine in Frage stellte, nickte Helmut Kohl beifällig: »Wo vieles so glatt geworden ist, aalglatt zum Teil und damit ganz unglaubwürdig, ist eher ein Steinbruch gefragt, ein Felsbrocken, wo die Leute sagen, der steht - und das ist meine Chance.«
Wie ein solcher Felsblock stand er auch bei Gaus im »Ring«. Aber er hatte es dort nicht etwa mit jenem »Fallobst« zu tun, das sonst - ob im Privatfernsehen oder bei den nicht minder servilen Öffentlichrechtlichen - gegen ihn aufgeboten wird. Gaus unterschätzte seinen Widerpart keine Sekunde und stoppte dessen Vorwärtsdrang zu den ihm genehmen Themen meist elegant, mitunter aber auch mit hartem Konter: »Herr Bundeskanzler, ich frage ...« So gestaltete sich das Duell zu einem verbalen Clinch, in dem Kohl
immer wieder sein Gewicht- einschließlich das des Amtsinhabers, dem doch bitteschön der erforderliche Respekt-gezollt werden solle - einsetzte, was Gaus zwar mitunter das Konzept verdarb, ihn jedoch nicht zum Rückwärtsgang veranlaßte.
Mitunter hatte er es dabei leicht, so, wenn Kohl für sein schon bald historisches Wort von den »blühenden Landschaften« einen neuen Sündenbock fand - den armen Gorbatschow, der den Moskauer Putsch nicht voraussah, weshalb mit der UdSSR auch die Exportpartner der DDR-Industrie verschwanden. Oder dann, wenn der Kanzler eigene Grobheiten im politischen Geschäft schlicht leugnete und wortreich den Verfall der Sitten im Allgemeinen beklagte: »Die Deutschen sind unhöflicher geworden.« Schließlich auch, wenn der Interviewer Kohl dabei ertappte, »eine Frage zu qualifizieren, manchmal auch ein bißchen umzuformulieren, um dann zu sagen: Wie kann man so etwas fragen?« Aber selbst dann landete der CDU-Vorsitzende noch einen Befreiungsschlag: »Das habe ich von eurem Gewerbe gelernt.«
Aber Helmut Kohl versteht es, selbst aus solcher Defensive sofort den neuen Angriff aufzubauen. Dann kneift er die Lippen zusammen, preßt die Fingerspitzen aneinander, schiebt den Kopf vor und schlägt los. »Was hätte man anders machen können?« Als der Frager nicht antwortet: »Moment mal, was hätte man denn anders machen können?« An Fehler kann er sich nicht erinnern, auch für den
Werteverfall ist er nicht zuständig: Vielmehr sind's jene, die »unsere Werte«, die alten Tugenden, nicht ehren.
Und er erkennt zielsicher jede Chance zur Selbstdarstellung. Als Gaus knapp Kohls biografische Daten nennt, schwelgt der sofort in Erinnerungen - an die Pfalz, die fromme^.Mutter, den rechtschaffenen,,, Vater, deft in den letzten Kriegstagen ge-^fällehSh *Bmderf*Bi“weiß, daß dasankommt, daß es in dieser Arena nicht um den k.o.-Sieg geht; sondern ums Punkten. Er lobt Willy Brandt, noch mehr Kurt Schumacher, spricht Sozialisten und nicht einmal Kommunisten Idealismus ab, vergißt aber auch nicht: »Viele dieser Idealisten sind in Schauprozessen abgeschlachtet worden.« Erst als Gaus ihm süffisant vorhält, mit vielem, was er sage, betreibe er schieren Wahlkampf, rede gar ähnlich wie Gerhard Schröder, verliert er ein wenig die Kontrolle: »Sie reden hier mit dem Helmut Kohl, nicht mit dem Gerhard Schröder. Ich bin kein Altmarxist, ich habe nie eine andere Meinung gehabt.«
Dem Kanzler war die Demütigung dieses Gesprächs mit einem, den er selbst dafür nie ausgewählt hätte, deutlich anzumerken. Er weiß aber, daß er jede Chance der Selbstdarstellung nutzen muß, denn für den 27. September stehen seine Sterne schlecht. Er kämpft mit dem Mut der Verzweiflung und versteht seine Mittel durchaus wirkungsvoll einzusetzen. Auf der anderen Seite war Günter Gaus' Befriedigung offensichtlich, den Kanzler vor der Kamera haben zu können. Daß ihn das nicht - wie andere dienstbare Befrager - zu versöhnlichem geistigen Kopfnicken verleitete, machte das Gespräch nicht nur spannend, sondern auch aufschlußreich - für den wachen Zuschauer und Wähler.
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