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  • Politik
  • Vor 50 Jahren: Wroclaw und die Idee eines Friedenskongresses

Fadejews Rede - ein Affront nicht nur gegen Sartre

  • Günter Wernicke
  • Lesedauer: 4 Min.

Eindämmungspolitik und Truman-Doktrin auf der einen und Zweilager-Theorie und Kominform-Gründung auf der anderen Seite hatten 1947 die Hoffnungen auf eine endlich friedliche Zukunft der Menschheit gedämpft und neue Ängste reaktiviert. Die Erinnerung an die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki nährten mit der beginnenden Herausbildung der Blöcke zudem Befürchtungen vor einen möglichen nuklearen Weltkrieg.

Gegen solche Gefahren formierte sich in Frankreich bereits im Februar 1948 eine breite Bewegung um Yves Farge, Minister für Versorgung 1946. Den »Combattants de la Liberte« gehörten ehemalige Resistancekämpfer an, die mit ihrem Protest gegen die von den USA dominierte Westintegration und erneute Aufrüstung

breite Resonanz fanden. Sie wurden von der FKP unterstützt, die schließlich auch die Erweiterung zur Organisation unter dem Namen »Kämpfer für Frieden und Freiheit« initiierte.

Es waren auch französische Wissenschaftler und Künstler, die Anfang 1948 gemeinsam mit polnischen Kollegen die Einberufung eines Kongresses der Geistesschaffenden vorschlugen, um den Dialog zwischen Ost und West trotz eskalierenden Kalten Krieges nicht abreißen zu lassen. Ideen zur Nutzung des intellektuellen Meinungsaustauschs als Brükkenschlag waren innerhalb der polnischen KP, insbesondere von Jerzy Borejsza, bereits seit längerem artikuliert worden. Im März 1948 sprach sich der Generalsekretär des Weltgewerkschaftsbundes, Louis Saillant, für »eine Weltfront des Kampfes für den Frieden« aus. Auch in Moskau wurde das Projekt positiv aufgenommen, entsprach es doch sowje-

tischen Sicherheitsinteressen; nicht zu Unrecht befürchtete man in Moskau die Bildung eines atlantischen Bündnisses und die Wiederbewaffnung Deutschlands. Andererseits beargwöhnte man Eigeninitiativen der Bruderparteien. Es eskalierten zu jener Zeit die Spannungen mit der jugoslawischen KP, und ernste Auseinandersetzungen gab es auch mit der größere Souveränität einklagenden und Zweifel bezüglich der Notwendigkeit des Kominformbüros äußernden polnischen Parteiführung unter Gomulka.

Am 25. August 1948 war es soweit: 500 Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler aus 45 Ländern kamen nach Wroclaw zum »Weltkongreß der Geistesschaffenden zur Verteidigung des Friedens«. An dem bis zum 28. August dauernden Treffen nahmen aus Deutschland u. a. Alexander Abusch, Willi Bredel, Jürgen Kuczynski, Hans Marchwitza, Hans Mayer, Anna Seghers, Otto Winzer und

Friedrich Wolf teil. Der internationale Teilnehmerkreis reichte vom Generalsekretär der UNESCO, Julian Huxley, über John 0. Rogge, ehemaliger stellvertretender Generalstaatsanwalt der USA (bis 1950 auch Vizepräsident des Ständigen Komitees des Weltkongresses der Kämpfer für den Frieden), dem Völkerrechtler und Priester Jean Boulier bis hin zu Alexander Fadejew vom ZK der KPdSU.

Fadejew provozierte allerdings einen Eklat, als er die Zweilager-Theorie Shdanows propagierte und die gesamte westliche Schriftstellerszene brüskierte: »Wenn die Schakale auf der Schreibmaschine schreiben und die Hyänen den Füllfederhalter handhaben könnten, so würden sie wahrscheinlich das gleiche hervorbringen wie Henry Miller, Elliot, Malraux und die übrigen Sartres ...«

Jakub Berman, Vertreter der polnischen KP in Wroclaw, vermutete in einem Interview, daß die Rede vor allem an die Polen gerichtet war, um sie auf Linie zu bringen: Deshalb mußten Passagen von Fadejews Rede »wie Keulenschläge« wirken. Der britische Atomphysiker und spätere Präsident des Weltfriedensrates, John D Bemal, wiederum nannte - wie ich im Bernal-Archiv in Cambridge fand - die Fadejew-Rede zwar »eindringlich und schroff«, erklärte sich dies indes aus dem tragischen Kriegserbe der UdSSR. Aldous Huxley hingegen konnte keinerlei

Verständnis aufbringen und verließ umgehend den Kongreß. Irene Joliot-Curie, die gleiches vorhatte, stimmte erst ein längeres Telefonat mit ihrem Mann um.

Dank sofortiger Intervention der Polen in Moskau sowie dank Ilja Ehrenburg verhielt sich dann im weiteren Verlauf des Kongresses die sowjetische Delegation moderater Der Kongreß kam zu einem konsensfähigen Abschlußdokument. Es wurde zudem ein »Internationales Verbindungskomitee der Intellektuellen für den Frieden« mit Sitz in Paris gewählt. Von diesem sowie dem im Dezember 1948 in Budapest tagenden Weltkongreß der Frauen (IDFF) ging dann die Initiative für den im Februar 1949 gestarteten Aufruf für einen Weltfriedenskongreß in Paris aus, denn es sei »Aufgabe aller anständigen Menschen, aller Menschen aus Kunst, Wissenschaft und Literatur, die Aufgabe aller demokratischen Organisationen, sich entschlossen, mit leidenschaftlichem Willen zur Einheit für die Verteidigung des Friedens unter den Völkern zu erheben« und sich gegen Kriegspropaganda und Rüstungswettlauf einzusetzen.

Der Weltfriedenskongreß, der dann im April 1949 parallel in Paris und Prag stattfand, markierte den Beginn einer Ländergrenzen überspannenden Friedensbewegung, von der man heute nur noch träumen kann

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