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  • Politik
  • Brecht/Dessaus Die Verurteilung des Lukullus wieder in der Lindenoper

»Immer doch schreibt der Sieger die Geschichte ??.«

  • Hansjürgen Schaefer
  • Lesedauer: 4 Min.

Lebendige Theatergeschichte: Ruth Berghaus' beispielhafte Inszenierung der »Verurteilung des Lukullus« mit Reiner Goldberg in der Hauptrolle

Foto: dpa

Diese Oper Paul Dessaus auf Worte Bertolt Brechts gehört zu den gro-ßen Musiktheater-Produktionen unseres Jahrhunderts. Sie stammt von zwei bekennenden Sozialisten und bedeutenden Künstlern. Entstanden ist sie unter dem Eindruck der Nürnberger Prozesse, in denen den Verantwortlichen für die Greuel des deutschen Faschismus der internationale Prozeß gemacht wurde. Und sie fand in der Wahl des historischen Sujets um den altrömischen Feldherrn Lukullus, den man bis heute vor allem als Genießer, als Freund köstlicher Speisen kennt, das zeitlose Gleichnis: Lukullus war ein erbarmungsloser Eroberer, Völker- und Städte-Vernichter

Vor unparteiischem, imaginärem Totengericht hat er Richtern Rede und Antwort für seine (Un)-Taten zu stehen. Kurtisane, Fischweib, Sklave urteilen am Ende: »Ins Nichts mit ihm«. Die namenlosen Opfer richten den Sieger- Sein einst hochgerühmter Name soll vergessen sein.

Die Geschichte dieser »Lukullus«-Oper ist mit der Deutschen Staatsoper eng verbunden. Von ihr wurde sie 1951 uraufgeführt, als »Verhör des Lukullus«. Sie wurde offiziell kritisiert. Man warf Dessaus Musik Formalismus und Modernismus vor, verlangte Korrekturen, nahm die Oper vom Spielplan. Verantwor tungsbewußte Musiker und Kulturpolitiker revidierten später ihren »einseitigen und unrichtigen« (E.H. Meyer) Standpunkt. DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck griff ermutigend ein, die Autoren änderten, und als »Die Verurteilung des Lukullus«, mit Nachdruck vom damaligen Staatsopernintendanten Legal verteidigt, kam das Werk, wiederum unter der Leitung von Hermann Scherchen, im Herbst des gleichen Jahres erneut auf die Bühne der Staatsoper Seitdem folgten drei weitere Inszenierungen, dirigiert von Hans Löwlein, Herbert Kegel (der 1961 auch eine Eterna-Gesamtaufnahme der Oper leitete) und Hartmut Haehnchen. Die

nächsten drei Inszenierungen an diesem Hause (1960, 1965 und 1983) besorgte die unvergessene Ruth Berghaus, die Gattin des Komponisten. Ihre letzte Inszenierung von 1983 wurde nun während der 48. Berliner Festwochen, aus Anlaß des 100 Geburtstages Brechts, erneut in den Spielplan der Lindenoper aufgenommen (mit zunächst leider nur einer einzigen Reprise in der laufenden Spielzeit,

am 11. September). Das Wesentliche an dieser Inszenierung: Hier wird deutlich, daß diese »Verurteilung des Lukullus« in ihrer musikalischen Diktion, ihrer Textdeutung mehr ist als »das Finale der Antihitler-Koalition« (Karl Mickel). Die Verurteilung des Kriegshelden Lukullus durch die namenlosen Richter, seine Opfer insgesamt, wird in die Zukunft projiziert, bleibt in ihren Folgen offen. Die

Verführung der Alten und der Jungen durch den vor Gericht stehenden Feldherrn hat mit dem Verdammungsurteil allein noch kein Ende. Dieser Lukullus, eine der überzeugendsten Leistungen des Staatsopern-Tenors Reiner Goldberg, in seiner empört-gespreizten Hektik, aber auch seinem verlockend-herrischen Gehabe, bleibt eine Gefahr Er imponiert wie viele Seinesgleichen, den Jungen und den Alten. Wenn sein Schatten übergroß und gefährlich am Ende die Bühne überragt, wird das Verdammungsurteil des Totengerichts bedrohlich relativiert, bleibt Brechts bedenkenswerter und mahnender Satz: »Immer doch schreibt der Sieger die Geschichte des Besiegten.«

Zugleich ist diese Oper mit ihrer zuweilen harten, schlagwerkdominierten Musik auch tiefer, lyrisch besonnener Herzlichkeit fähig. Gegen Herrschsucht stehen die Mütterlichkeit des ihren im Krieg gebliebenen Sohn beklagenden, sich selbst anklagenden Fischweibs, das Mitgefühl der Kurtisane zur vergewaltigten Königin. Stehen Sanftmut und Herzlichkeit der Gequälten. Stehen menschliche Wärme und Nähe, deren die Entrechteten und Gequälten aller Zeiten so unverlierbar fähig sind.

Aus solch neuer Differenziertheit erwächst der Oper eine neue Qualität. Das ist eindringlich, macht nachdenklich. Gültig fürs Heute und Morgen. So wird aus der nackten »Verurteilung des Lukullus« erneut ein in seinen Konsequenzen bedenkenswertes »Verhör des Lukullus«.

Die Wiederaufnahme des Werkes ins Repertoire der Lindenoper (im Bühnenbild Hans-Joachim Schliekers, in den Kostümen Marie-Luise Strandts) hatte beträchtlichen interpretatorischen Rang. Das gilt für das präzise Dirigat des jungen Staatskapellmeisters Sebastian Weigle, für die rechts und links auf der Bühne postierten Mitglieder der Staatskapelle, die von Detlef Steffen und Anne Sylvan vorbereiteten Chöre und den Kinderchor, für das große, dem besonderen Stil des Werkes in Gesang, Deklamatiönund Gestik überzeugend gerecht werdende Solisten-Ensemble. Neben Reiner Goldberg taten sich da die koloraturensichere Ana Camelia Stefanescu als Königin, Barbara Bornemann als Fischweib, Kwangchul Youn als König, Eberhard Büchner als Koch Lasus, Siegfried Vogel als Totenrichter, Katharina Kammerloher als Terullia und Christine Gloger als gestalterisch intensiv angelegte »kommentierende Frauenstimme« hervor

Der Wiederaufnahme-Abend fand sehr nachdrücklichen Beifall des Publikums.

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