Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Abschied

von der Pappkameradin In vierjähriger Regierungsverantwortung machte Claudia Nolte Frauenpolitik zu einem Randthema der Gesellschaft Abgestrampelt

  • Lesedauer: 5 Min.

Die Patzer der ostdeutschen Vorzeigepolitikerin Claudia Nolte häufen sich. Selbst in der Union wird sie für künftige Projekte nicht mehr gehandelt. Die Kölner Sozialwissenschaftlerin Mechtild Jansen zieht eine Bilanz zum Ende dervierjährigen Amtszeit der Bundesministerin.

Foto: dpa/ Hirschberger

Zum Abschluß macht sie erneut von sich reden. Daß sie eine Mehrwertsteuererhöhung mitten im Wahlkampf ankündigt, zeigt ihr Plappermaul und den Sieg ihres Bekenntnistriebs über taktische Finessen. Sachlich aufregender war, was sie nach dem Erscheinen des Kinder- und Jugendberichtes nicht als ein »Versehen« zurücknahm: Armut, sagte ihr ihre über den Realitäten schwebende Wahrnehmung, gäbe es nur woanders. Dies wird wie ihre gesamte Amtszeit keine Empfehlung für sie werden. Helmut Kohls letzte Trumpfkarte wird von der großen Bühne abtreten. Ihrem Herrn war sie eine gute Pappkameradin: Sie selbst bot sich mit der Note »frisch verbraucht« dar Der Frauenbewegung und halbwegs aufgeklärten Männern ist sie ein schwerer Klotz am Bein, für eine einflußreiche, vermeintlich weltoffene Bundesrepublik eine politische Peinlichkeit.

Die Ministerin verkörperte von Anfang an den Gipfel einer Entwicklung, deren Spitze schon geknickt war, als sie gerade zu ihm hinaufgehievt wurde. Aus der ärmlichen Provinz kommend mußte sie als »Zonen«-Königin für die Krönung eines politischen Prozesses herhalten, den die reichen Verwandten nach dem Motto »es muß alles anders werden, damit es bleibt, wie es war« aufgeführt hatten. Christlich angestrichener, hausbackener Nachkriegs-Konservatismus, neoliberalistisches Begehren nicht mehr ganz so konsensfreudiger Unternehmer und die Frauenbewegung mußten irgendwie zueinandergebracht werden. Sie waren die drei politischen Vorhuten der alten Bundesrepublik, die schlecht zusammenpassen wollten. Mit vereinter Macht vermochten die herrschenden männlichen hier oder da weiblich getupften Politikund Wirtschaftseliten - gestützt auf patriarchale und kapitale Strukturen, dann doch zu vereinnahmen, was Frauenbewegung an gesellschaftlicher Innovation hervorgebracht hat. Die Emanzipationshungrigen wurden derweil mit etwas Erziehungsgeld, Karriere oder stiller Macht-

teilhabe abgespeist oder, besser noch, süchtig nach Anerkennung gemacht.

Am Anfang hatten sich die CDU, der Hort von Küche, Heim und Herd, Familie und Mutterglück und die Frauenbewegung, die hinausdrängte in die Welt, in Beruf, Öffentlichkeit und Politik, konfrontativ gegenüber gestanden. Weil so keine Wende zu bewerkstelligen war, modernisierte die CDU ihre Gesellschaftspolitik. Die Frauen sollten sich überall tummeln dürfen, zu Hause und in der Welt, rund um die Uhr und hier wie dort jederzeit gleichzeitig, voll und ganz - aber natürlich »selbstlos«, für einen Apfel und ein Ei. Solange dies so sparsam war, soll-

ten Männer es ihnen gleichtun. Schließlich hatten diese wirklich ein paar Defizite aufzuholen. So gestaltete sich die durchökonomisierte Gleichberechtigung im Dienste des Wirtschaftsstandortes.

Auf diesem Modell hockten nun Claudia Nolte und Helmut Kohl. Vom Thron herab - im befriedigten Blick auf die zur Nachhut gewordenen Geißlers, Süssmuths, Lehrs, Merkels - erfreuten sie sich der vollbrachten Leistung. Die Frauenpolitik war vom brandheißen Top- zum Gähnen auslösenden Randthema geworden; der nationalen Politik wieder untergeordnet. Die selbstbewußt dienende Magd der Macht hatte die eigenständige

Frau abgelöst. Ganz beispielhaft (post-)modern machte und nahm sie alles mit, was auf dem Wege lag, die verruchte Quote eingeschlossen. Die politische Fanfare tönte repressiv und regressiv - Unterordnung, Zucht und Ordnung, Moralgebote, Strafe oder Leistung. Die Frauenbewegung wurde nur noch geschnitten. Von da an begann ihr Abstieg.

Ganz so dummdreist rechtsklerikal wie Claudia Nolte zu Anfang durfte frau es nicht gleich anstellen. Die Ministerin kam erst einmal unter Aufsicht. Modisch geliftet trat sie etwas galanter auf, um gleichwohl hartnäckig bei jeder sich bietenden Gelegenheit kräftig nach rechts auszuschlagen oder wenigstens auf die Bremse zu treten. Claudia Nolte goß postwendend Öl ins Feuer, als die notorisch gegen Schwangerschaftsunterbrechung zu Felde ziehende bayerische Landesregierung 1997 den mageren Kompromiß zum § 218 infrage stellte. Zum Kampf für ein Gesetz gegen Vergewaltigung in der Ehe mußte sie am Ende von der eigenen Partei getragen werden. Die unzureichenden Renten der Frauen wurden ihr erst ein Wort wert, als ihr Proteste aus der ganzen Republik in den Ohren hallten. Statt sich wenigstens um den Erhalt von ein paar Frauenprojekten zu kümmern, ging sie lieber zum Kaffeetrinken in Altersheime. Mit Vertreterinnen der Frauenbewegung oder kritischen Öffentlichkeit redete sie allenfalls für kontrollierte Minuten. Sofern es fremde wilde Länder betraf, konnte sie sich wirklich über Frauenhandel aufregen. Vor der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking ver langte sie mutig die uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte, das eigenständige Aufenthaltsrecht für Ausländerinnen hierzulande überging sie. Arbeitsmarkt-, sozial-, familien-, steuer-und gleichstellungspolitisch tat sie gar nichts. Forderungen der Frauen wehrte sie hartnäckig mit der Begründung ab, daß die Regierung natürlich für Gleichberechtigung ist und alles Nötige schon getan hat. Währenddessen waren Frauen die heimlichen Hauptadressatinnen der Sparpolitik der Regierung. Höchst schwerfällig hatte diese in Fragen der Rente, des Kindergeldes und Rechtsanspruches auf einen Kinderbetreuungsplatz gerade eben den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts entsprochen. Auch konzeptionell hatte Claudia Nolte der Frauenpolitik nichts hinzuzufügen, nicht einmal rechte Politik hat sie um eine einzige neue Idee bereichert.

Die Geschichte hat ihr nur eine kleine Rolle eingeräumt. Helmut Kohl vollendete

mit seiner Ministerin unter Ausschöpfung der Geschenke der Einheit eine spezifische politische Wende. Er hinterläßt dem »neuen Deutschland« keine soziale Brachialpolitik rückwärts, sondern vor allem einen allgemeinen konservativen herrschaftlichen Geist im sozialen Rückbau und erst recht für die Neugestaltung des (welt-)gesellschaftlichen Umbruchs.

Nun ist die Substanz seines Politik-Angebots verbraucht. Die Modernisierung der Frauenpolitik hat sich erschöpft. Für eine Verlängerung oder Erhöhung etwa des Erziehungsgeldes ist kein Geld da. Noch mehr und noch kleinteiligere Teilzeitarbeit ginge unter existentielle Limits und beschleunigte unkontrollierbar soziale Spaltung. Was durch Zureden an mehr Gleichstellung zu arrangieren war, ist ausgeschöpft. Im Blick auf die kommende Neuordnung sind andere Konservative mit ihren Konzepten von Erziehungsgehalt, Gomeinarbeit, Grundrente u. ä. längst weiter Nolte war als Politikerin von Anfang an bizarr, zu steigern ist das Personalentwicklungsmodell nicht mehr, und eine weitere Verwendung der Ministerin ist nicht in Sicht.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal