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Kein Ort. Nirgends.

Luckau-Uckro ist der neue Name eines alten Bahnhofes, das verwirrt Reisende

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Silvia Ottow

Manche Orte haben nie einen Bahnhofgehabt, einige Orte haben ihre Bahnhöfe verloren, einem Bahnhof gar ist kürzlich der Ort abhanden gekommen.

Der Bahnhof Uckro hatte im Laufe der Jahrzehnte nie ein Problem mit seinem Ort, im Gegenteil. Das 600-Seelen-Dörfchen 100 Kilometer südlich von Berlin verdankt der Haltestelle eine wesentliche Aufwertung seines Daseins. Als im vergangenen Jahrhundert die Eisenbahn erfunden wurde, und den Stadtvätern von Luckau, sieben Kilometer östlich von Uckro, eine solche Station angeboten wurde, waren diese entsetzt. Der Dreck! Der Lärm! Die Unruhe! Und die drohenden Verluste für die Fuhrunternehmer! Nicht nach Luckau mit dem fauchenden Ungetüm, sprach man weise. Baut die Strecke schön weit weg, vielleicht ins märkische Dahme. Doch auch dort winkten Zigarrenfabrikanten und Fuhrunternehmer ab. So fiel die Wahl auf Uckro. Als 1875 die Eisenbahnstrecke Berlin-Dresden eröffnet wurde, reckte das Dörflein stolz sein Bahnhofsschildchen in den Fahrtwind zwischen den Großstädten. In Lukkau freute man sich derweil über die gelungene Abschiebung. Es wird erzählt,

die Ackerbürgervertretung wollte gar ein Denkmal errichten, auf dem einer der Stadtväter der Eisenbahn die Zunge herausstreckt.

Uckro verzeichnete fortan einen gewissen Bedeutungszuwachs. Bald gierte Dahme nach einem Anschluß an die weite Welt und baute eine Bahnstrecke nach Uckro. Auch die schlau gewordenen Lukkauer legten 1897 einen Schwellenweg an die von ihnen einst verschmähte Fernverkehrsstrecke. Eine kleine Bahnhofswelt entstand in Uckro, die bald das Gesicht des Ortes prägte. Kein Dorf mehr, nein, ein Knotenpunkt mit Unter- und Überführungen, einem Stellwerk, Signalen, Rangierstützpunkten, Arbeiterwohnungen. Nicht ein Bahnhof, gleich drei. Nicht ein Fahrkartenschalter, sondern drei. Auch drei Kneipen, ja. Und ein dreistöckiges Gasthaus »Zur Eisenbahn«. Nicht zu vergessen die Flut vqn Ortsschildern, unzählige! Außer den Uckroern konnten auch die benachbarten Paseriner und Pickel-Pitschener nun »Bahner« werden. Später schickten die Niederlausitzer Dörfler ihre Vertreter zum Studieren ins Sächsische oder zum Arbeiten in die Hauptstadt, nicht mal Umsteigen mußte man dazu. Ein Fahrschein nach Berlin kostete noch vor 15 Jahren 3,60 Mark - ermäßigt, denn Uckro war der letzte Vorort von Berlin. Gern erinnern sich die Uckroer an spek-

takuläre Entgleisungen von Güterzügen mit eßbarer Fracht. So gab es in den 60er Jahren wochenlang Heringsgerichte bei all jenen, die rechtzeitig mit Eimern an die Böschung geeilt waren, um die Fischlein aus dem Eis zu klauben, die ein umgekippter Waggon ganz praktisch neben der Eisenbahnbrücke auf die Dorfstraße gespien hatte. Die größte Polizeiaktion in der Geschichte der DDR nahm im Oktober 1953 ihren Anfang auf dem Uckroer Bahnhof. Damals waren tschechische »Konterrevolutionäre« hier aus einem Zug gestiegen, “die sich auf der Flucht nach Westberlin befanden. In Uckro erschossen sie einen Polizisten und versuchten dann, zu Fuß an ihr Ziel zu gelangen. Der Fall sicherte dem Dorf schließlich den Einzug in die ganz große Geschichte; auch, wenn die Bücher die Geschehnisse einige Jahrzehnte verschwiegen.

Doch außer den unverschuldet in die ländliche Bedeutungslosigkeit Hineingeborenen verschlug es im wesentlichen gutmütige Fremde in das Nest. Aus einer anständig beschilderten Ortschaft mit drei Bahnhöfen und einem zusätzlichen regen Busverkehr fand man ja schnell wieder hinaus, so man nicht bleiben wollte. Anders heute. Von drei Bahnhöfen ist nur noch einer übrig, von drei Kneipen blieben zwei, an das Gasthaus erinnern lediglich verblichene Schriftzüge, der

nächste Fahrkartenschalter befindet sich witzigerweise im inzwischen eisenbahnlosen Dahme, und die Frequenz der im Ort haltenden Linienbusse nähert sich der des Aufschlags von Meteoriten auf dem Bahnhofsvorplatz. Mit Sicherheit fährt immer dann kein Kraftomnibus, wenn ein Zug eintrifft. Wer hier aussteigt, wähnt sich nicht selten ohnehin bereits in Luckau, denn das Schild auf dem Bahnsteig verspricht eine Ortschaft namens Luckau-Uckro. Diese existiert jedoch allenfalls in der Phantasie der Deutschen Bahn AG, von der offenbar schnell mal ein neuer Ort erfunden wird, wenn gerade keine Zugverbindung zu streichen oder kein Bahnhof zu verkaufen ist. So kommt es, daß die Uckroer nun ab und an umherirrenden Zeitgenossen begegnen, die in dem verschlafenen Dörflein vergeblich die Karl-Marx-Straße oder das Karl-Liebknecht-Denkmal oder einfach die Justizvollzugsanstalt suchen. Diese Dinge aber befinden sich samt und sonders im sieben Kilometer entfernten Heimatstädtchen der früheren Eisenbahnfeinde, über deren Zuganbindung ins weltoffene Uckro seit Jahren das Gras wächst. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird daran auch der Verkauf der Strecke an einen privaten Betreiber nichts ändern.

Es scheint, als müßten die Uckroer einen gewissen Rückschritt in die Bedeutungslosigkeit hinnehmen. Für den Verlust zweier Bahnhöfe ist es wahrlich keine angemessene Entschädigung, jede Woche ein paar Fremde in die Wüste schicken zu dürfen, die erst in Paserin merken, daß, wer in Uckro aussteigt, noch lange nicht in Luckau ist.

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